Der Koran, das heilige Buch für weltweit etwa 1,6 Milliarden Muslime, kann auf viele verschiedene Weisen gelesen werden. Eine – für die Bibel längst selbstverständliche – Lektüre ist für den Koran noch immer nicht systematisch erprobt: die historische. Um die in ihrer Zeit revolutionäre Neuheit, um die intellektuelle Herausforderung des Koran als Teil der spätantiken exegetischen Kultur zu verstehen, bedarf es einer Rekonstruktion der Debatten, aus denen er hervorgegangen ist....
Der Koran, das heilige Buch für weltweit etwa 1,6 Milliarden Muslime, kann auf viele verschiedene Weisen gelesen werden. Eine – für die Bibel längst selbstverständliche – Lektüre ist für den Koran noch immer nicht systematisch erprobt: die historische. Um die in ihrer Zeit revolutionäre Neuheit, um die intellektuelle Herausforderung des Koran als Teil der spätantiken exegetischen Kultur zu verstehen, bedarf es einer Rekonstruktion der Debatten, aus denen er hervorgegangen ist.
Im frühen 7. Jahrhundert über einen Zeitraum von kaum mehr als zwanzig Jahren entstanden, präsentiert sich der Koran seit seiner noch im selben Jahrhundert erfolgten Kanonisierung als eine Sammlung von 114 Suren, die – ungeachtet ihrer zeitlichen Abfolge – in den Ausgaben bis heute als voneinander isolierte Texteinheiten nach dem äußerlichen Kriterium ihrer Länge angeordnet sind. Will man die dem Koran innewohnende Dynamik, seine fortschreitende intellektuelle Durchdringung der Nachbartraditionen und seine Selbstreflexion begreifen, muß diese kanonische Reihenfolge aufgebrochen und der ursprüngliche historische Kontext der einzelnen Suren als Verkündigungen inmitten spätantiker Debatten wiederhergestellt werden.
Genau dies ist Angelika Neuwirths neuer Ansatz, den sie in Der Koran als Text der Spätantike eingehend entwickelt und in ihrer fünfbändigen kommentierten Koranausgabe konsequent durchführen wird: Sie beginnt mit den ältesten Suren aus frühmekkanischer Zeit (ab 610) und endet mit den spätmedinischen Suren (bis 632). Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, jede Sure in ihrem spezifischen ›Sitz im Leben‹ zu verstehen und Entwicklungslinien nachzuzeichnen: Welche historische, vor allem aber gemeindliche Situation bildet jeweils den Hintergrund? Welche theologischen Diskurse hielten die Gemeinde in Bann? Worin besteht vor diesem Hintergrund die Innovation der jeweils aktuellen Verkündigung? Und wie entwickelt sich das Verhältnis zum Judentum, zum Christentum und zu anderen religiösen Gruppierungen, als deren Folge der Islam als eine neue Religion entsteht?
Dabei wird auch dem hohen literarischen Anspruch des Textes Rechnung getragen, dessen Form ja in islamischer Sicht Teil der Verkündigung ist. Jede einzelne Sure wird daher auch als sprachliches Kunstwerk – als welches der Koran in der islamischen Tradition seit jeher anerkannt ist – beschrieben werden, als ein Kunstwerk, das zugleich aufgrund des bis zum Schluß offenen Textes der Verkündigung erstaunliche Wachstums- und Umdeutungsprozesse widerspiegelt.
Dieser neue, »europäische« Zugang macht deutlich: Mit dem Koran liegt uns ein Text vor, der zwar in erster Linie muslimisches Erbe ist; er verdient aber auch als ein Vermächtnis der multikulturellen Spätantike höchste Anerkennung.
Mit diesem Band eröffnet Angelika Neuwirth ihre große kommentierte Koranausgabe, die ab 2011 im Verlag der Weltreligionen erscheinen wird:
Der Koran. Handkommentar mit Übersetzung von Angelika Neuwirth
Band 1: Frühmekkanische Suren: Poetische Prophetie
Band 2: Mittelmekkanische Suren: Ein neues Gottesvolk
Band 3: Spätmekkanische Suren: Eine Ecclesia militans
Band 4: Frühmedinische Suren: Im Kreis der Erben biblischer Tradition
Band 5: Spätmedinische Suren: Die Gemeinde als Statthalterin Gottes auf ErdenIst der Koran wirklich ein rein islamischer und damit uns fremder Text? Oder ist er nicht eher eine neue und eigenwillige Stimme in jenem Konzert spätantiker Debatten, mit denen auch die...
Angelika Neuwirth, emeritierte Professorin für Arabistik an der Freien Universität Berlin, seit 2003 Mitarbeit in Sonderforschungsbereichen der Freien Universität Berlin sowie an verschiedenen Fellowprojekten des Wissenschaftskollegs zu Berlin, seit 2007 Leiterin des Projekts Corpus Coranicum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Angelika Neuwirth, emeritierte Professorin für Arabistik an der Freien Universität Berlin, seit 2003 Mitarbeit in...