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Hans Höller: Zu zwei Besprechungen des Male oscuro- Bandes in der FAZ

Nachricht
07.03.2017

Am 22. Februar 2017 habe ich in Berlin im Suhrkamp Verlag den ersten Band der neuen Salzburger Bachmann Edition vorgestellt. Ich lese dazu in einer Besprechung von Andreas Kilb (FAZ, 24. Februar 2017):
»Hans Höller beginnt die Präsentation der historisch-kritischen Bachmann-Ausgabe mit einer Predigt wider die Heiden der Kritik […] Bei Ingeborg B., so lässt sich Höllers hochgestimmter, von der Elegie zur Arie sich emporschraubender Monolog zusammenfassen, ist auch das Privateste Literatur.« Höller habe »keinen klaren Blick« und eben diese »Klarheit ließ Höller bei der Vorstellung seines Editionsprojektes vermissen […]. Das Schicksal der ›Salzburger Bachmann Edition‹ wird davon abhängen, ob es den Herausgebern gelingt, die Rührseligkeit, mit der sie in Berlin antraten, aus ihrem Instrumentarium zu streichen.«
Es gibt den Text, mit dem ich den ersten Band der neuen Bachmann Ausgabe im Suhrkamp Verlag vorgestellt habe. Es ist kein »Monolog«, sondern ein nüchternes »Statement«. Ich habe darin die »Rührseligkeit« gesucht und nicht finden können. Weil von der »Rührseligkeit« in meiner Rede das »Schicksal der ›Salzburger Bachmann Edition‹« abhängen soll und weil man den Gegenstand der Kilb''schen Polemik kennen muss, wird hier der Redetext abgedruckt (nur die Zeitung und den Namen hatte ich in Berlin nicht genannt).

 

Statement anlässlich der Präsentation des ersten Bandes der neuen Bachmann Ausgabe beim Pressegespräch im Suhrkamp Verlag, Berlin, 22. Februar 2017 (Hans Höller)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte das Konzept der neuen Bachmann-Ausgabe anhand einer kritischen Auseinandersetzung mit der ersten zu Male oscuro erschienenen Rezension erläutern (Kai Sina: Male oscuro – Ingeborg Bachmann, FAZ, 18. 2. 2017). Im Widerspruch, dachte ich mir, lassen sich die leitenden Erkenntnisinteressen der Edition konkreter und lebendiger darstellen.

I
Wie lasse sich »die Publikation von unautorisiertem Material« rechtfertigen? Die Texte würden »den Leser gleichsam in den Kreis jener Therapeuten aufnehmen, die hier zum Teil explizit adressiert werden«. Die Begründung, »diese Texte zu veröffentlichen, fällt in erster Linie philologisch aus«, es sei vor allem »von der ›werkgenetischen Bedeutung‹ der Texte« die Rede und von der Bedeutung der wirklichen Träume für das spätere Werk der Autorin.
»Auch wenn sich die Herausgeberinnen aus wissenschaftlicher Perspektive sicher nicht den Vorwurf des ›Voyeurismus‹ gefallen lassen müssen«: »Ein wenig Kulturindustrie, ein bisschen ›Gala‹ und ›Bunte‹ für Literaturinteressierte ist bei dieser Publikation freilich auch im Spiel. Damit stelle sich die Frage, was von einer Gesamtausgabe eigentlich erwartet werden darf. Man hat sich zumindest bei diesem Band für eine Bestätigung und Fortschreibung der bestehenden Ansätze und Vormeinungen entschieden. Die Chance eines neuen Blicks auf Bachmann-Texte durch eine jüngere Leser- und Forschergeneration wird so zumindest nicht erleichtert. Wer hingegen die Aufzeichnungen gegen den vorgezeichneten Strich lesen will, sollte sich stärker auf ihre künstlerische Qualität konzentrieren: Als prosagedichtartige Miniaturen, als komplexe Erzeugnisse einer Écriture automatique sind zumindest die Traumnotate nämlich auch lesbar.«

II
Es handelt sich in der Edition nicht um »unautorisiertes Material«, sondern um »Texte«; ›unautorisiert‹ aber sind letztlich alle nachgelassenen, nicht zu Lebzeiten Ingeborg Bachmanns publizierten Texte, also der weitaus größte Teil des Nachlassbestands.
Man wird als Leserin und Leser dieser Texte nicht »in den Kreis jener Therapeuten« aufgenommen, weil es den Editiorinnen um das seine Träume reflektierende und sich selber befragende schreibende Ich geht. Im Bedenken der Träume, im Fragen und in den sich befreienden Assoziationen zeigt sich die Wiederherstellung der eigenen Autorschaft, und Autorschaft wird in einem Sinn verstanden, der uns alle betrifft, nämlich als »Handwerk des Lebens« (Cesare Pavese).
Was aber stimmt, ist, dass die Begründung für diese Textzusammenstellung »in erster Linie philologisch« ausfällt. Die literaturwissenschaftliche Kommentierung zielt auf die genetische Bedeutung der wirklichen Träume für das spätere Werk Ingeborg Bachmanns, eine Perspektive, die bei einer Schriftstellerin nicht ganz unangebracht sein kann. Und »philologisch« meint auch Genauigkeit im Verständnis der Wörter und bei der Verwendung von Begriffen. Genau genommen, sind nämlich Bachmanns Traumaufzeichnungen gerade nicht als »Écriture automatique« zu bezeichnen, denn die Träume werden von einem nachdenklichen, die manifesten Traumgedanken befragenden Autorinnen-Ich niedergeschrieben, das ausbrechen will aus der Fixierung auf das Geschehene und aus dessen automatischer Reproduktion herauskommen möchte. Das schreibende Ich dieser Protokolle will deren »Psycho-Logik« (Bachmann) verstehen, darum greift auch eine Beschreibung der expliziten poetischen Referenzen zu kurz.
Die Herausgeberinnen vernachlässigen das Poetische nicht, aber es geht ihnen um ein offenes, weltzugewandtes Verständnis von Poetik. Bachmann hat selber in ihrem Traumverständnis auf einen Roman von Edgar Allan Poe hingewiesen, aber das Poetische liegt nicht allein in den expliziten Literaturverweisen. Isolde Schiffermüller und Gabriella Pelloni sind diesen intertextuellen Hinweisen der Autorin nachgegangen, sie finden den latenten Traumgedanken auf einer anderen Ebene: Der »einzige Anhaltspunkt« nach einer Serie von geheimnisvollen Morden ist eine kleine Nebensächlichkeit, ein Knopf, und dieses Indiz führt zum latenten Traumgedanken und letztlich auch zum ›latenten‹ sozialpsychologischen Raum des Lebens und Schreibens nach 1945. Es ist ein »Perlmutterknopf […] auf dem stand ›Olga‹ (der Name meiner Mutter). Ich habe diesen Knopf zum Beweismaterial, anderen Knöpfen, die aber noch auf ein Papier geheftet waren, gelegt.« Diese im Traum ausgesparte, gespenstische Geschichte des Knopfes wird von den beiden Herausgeberinnen durch die Querverbindung zu Ilse Aichingers erstem Hörspiel Knöpfe (1953) dem bewussten Verstehen zugänglich gemacht. Im Hörspiel von Bachmanns bester Freundin sind die Knöpfe eine Chiffre der Shoah. Hinter der Wand einer Knopffabrik, von wo ein Prasseln wie Feuer zu hören ist, geschieht die Verwandlung der arbeitenden Frauen zu Knöpfen, und diese Knöpfe tragen die Namen der zu Knöpfen verarbeiteten Frauen. Bachmanns verstörender Traumgedanke nimmt diese andere Geschichte, die der »Latenz« nach 1945, mitten hinein in den innersten Kreis ihrer Familie.

III
Vielleicht kann der editorische Versuch, solche geheimen »unterirdischen Querverbindungen« (Ingeborg Bachmann) lesbar zu machen und damit einen anderen Begriff des Poetischen zu entfalten, die vorgelegte Edition vom Vorwurf entlasten, dass sie der voyeuristischen »Kulturindustrie« folge und ein wenig »Die Bunte« und »Gala« für Literaturinteressierte ins Spiel bringe. Und warum sollte ein solches Spurenlesen, der Sinn für Latenz und für das gesellschaftlich Unbewusste einer jüngeren Leser- und »die Chance eines neuen Blicks auf Bachmann-Texte zumindest nicht erleichter[n].« Könnte ein neuer Blick nicht aus dem genauen, erhellenden, von der Literatur hellsichtig gemachten Lesen hervorgehen?
Die Träume seien »prosagedichtartige Miniaturen«. Warum nicht? Aber das erklärt nicht die literarische Spezifik von Bachmanns Traumaufzeichnungen und noch weniger deren lebensgeschichtliche Notwendigkeit. Wenn schon ‚Prosagedichte’, dann sind es solche, in denen ein Ich im nachdenklichen Beschreiben der Traumbilder sich seiner Autorschaft zurückerobert. Ich habe diesen Zusammenhang bisher in der Bachmannrezeption kaum jemals dargestellt gefunden. Die mit dem Band Male oscuro vorgelegte Konzentration auf die analytische Dimension von Bachmanns Schreiben ist noch immer nicht oder immer noch zu wenig bekannt, und die Edition kann hier keinen ausgetretenen Pfaden folgen. Auch das durchgehende kulturkritische Wissen in ihrem Werk ist noch zu entdecken. Eine Wunschvorstellung für die neue Ausgabe wäre, dass sich aus den nach und nach erscheinenden Teilbänden eine poetische Enzyklopädie der Moderne nach 1945 zusammensetzt, deren österreichischer Beitrag durch Bachmanns Werk bewusst gemacht wird, z.B., was die Sprachkritik angeht oder die Psychoanalyse. Es war Bachmann, die die breite literarische Wittgenstein-Rezeption in Gang gebracht hat, indem sie den Tractatus dem Suhrkamp Verlag zur Veröffentlichung vorgeschlagen hatte, und es war kein Zufall, dass sie ihrem Grenzerfahrungstherapeuten, für den sie die Träume aufzeichnete, die große Sigmund Freud Ausgabe zum Geschenk machte.
Bachmanns Aufzeichnungen »gegen den vorgezeichneten Strich lesen«, könnte doch auch heißen, deren »künstlerische Qualität« in der Öffnung auf konkrete reale Lebenszusammenhänge zu finden. In ihrem Essay über Georg Groddeck hat die Schriftstellerin die therapeutische Situation als eine exemplarische Möglichkeit verstanden, die Medizin und die Literatur aufeinander hin zu öffnen. Es ginge nämlich, schreibt sie, um den »ununterbrochenen Dialog zwischen dem Arzt und dem Patienten oder Expatienten oder künftigen Patienten«. Bei Groddeck habe die »Koinzidenz von Schriftstellerei und Forschen und Erforschen in einem altmodischen Sinn […] einen neuen bekommen«, und sie fügt mit einer von ihr gern verwendeten Goethe-Reminiszenz hinzu, dass der Mensch bekanntlich ein dunkles Wesen ist und dass wir das »Unerforschte bleiben«.

IV
Bei der Vorbereitung meines Statements für dieses Pressegespräch in Berlin und beim Lesen der ersten Rezension bzw. bei den Interviewfragen ist mir noch klarer geworden, dass die Salzburger Bachmann Edition zu einer aktualisierenden Vergegenwärtigung der befreienden Errungenschaften der Moderne beitragen könnte. Das Poetische im Werk Bachmanns, das so oft auf das Lyrische verkürzt wurde, ist Teil des kulturkritischen und analytischen Projekts der Moderne. Der erste Band der Werkausgabe mit den Traumprotokollen und den Briefen an die Ärzte betont dabei besonders die spezifischen »Problemkonstanten« von »Politik und Physis«, von »Medizin und Psychotherapie«, Trauma und befreiender Schrift, und der Band macht uns auch bewusst, dass der Traum eine eminente Rolle im gesamten Werk Bachmanns spielt, vom ersten Hörspiel »Ein Geschäft mit Träumen« bis zum zentralen Traumkapitel im Roman Malina. Dieses Verfolgen des ›Königswegs‹ des Traums erinnert daran, dass die Psychoanalyse, so Sigmund Freud mit dem Hinweis auf das Erscheinen seiner Traumdeutung im Jahr 1900, »sozusagen mit dem zwanzigsten Jahrhundert geboren« worden ist.


Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wurde durch einen Auftritt vor der Gruppe 47 als Lyrikerin bekannt. Nach den Gedichtbänden Die gestundete Zeit (1953) und Anrufung des Großen Bären (1956) publizierte sie Hörspiele, Essays und zwei Erzählungsbände. Malina (1971) ist ihr einziger vollendeter Roman. Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.
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