Prekäres Wissen
Die Debatte um die Gestalt einer Wissensgeschichte des neuzeitlichen Europa bedarf der Korrektur. Es ist an der Zeit, endlich auch die prekäre Seite zu beleuchten: die Unsicherheit und Gefährdung bestimmter Theorie- und Wissensbestände, den heiklen Status ihres Trägermaterials, die Reaktion auf Bedrohung und Verlust, das Risiko häretischen Transfers. Martin Mulsow begibt sich auf die Spur dieses prekären Wissens mit dem Ziel, es in seiner Bedeutung für den Prozess der europäischen...
Die Debatte um die Gestalt einer Wissensgeschichte des neuzeitlichen Europa bedarf der Korrektur. Es ist an der Zeit, endlich auch die prekäre Seite zu beleuchten: die Unsicherheit und Gefährdung bestimmter Theorie- und Wissensbestände, den heiklen Status ihres Trägermaterials, die Reaktion auf Bedrohung und Verlust, das Risiko häretischen Transfers. Martin Mulsow begibt sich auf die Spur dieses prekären Wissens mit dem Ziel, es in seiner Bedeutung für den Prozess der europäischen Wissensgeschichte zu rehabilitieren. In materialreichen Fallstudien, die den Zeitraum von der Renaissance bis zur Aufklärung umspannen, präsentiert er die Taktiken, die Intellektuelle ersonnen haben, um mit diesen Fährnissen leben zu können, ihre Rückzugsgesten, ihre Ängste, aber auch ihre Ermutigungen und Versuche, verlorenes Wissen wieder zurückzugewinnen.
Prekäres Wissen handelt nicht von den großen Themen der Metaphysik und Epistemologie, sondern von Randzonen wie der Magie und der Numismatik, der Bibelinterpretation und der Orientalistik. Es geht nicht nur um Theorien, sondern auch um Furcht und Faszination, nicht um die großen Forschergestalten, sondern um vergessene und halbvergessene Gelehrte. Es ist ein Buch voller spannender Geschichten, eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit und zugleich der ambitionierte Versuch, den Begriff des Wissens selbst im Zeichen des »material turn«, des »iconic turn« und der Kommunikations- und Informationsgeschichte neu zu denken.
Einleitung: Prekäres Wissen, riskanter Transfer und die Materialität der Erkenntnis
ERSTER TEIL
TAKTIKEN DES WISSENSPREKARIATS
Das clandestine Prekariat
Die zwei Körper des Libertins
Porträt des Freidenkers als junger Mann
Die Kunst der Nivellierung, oder: Wie rettet man einen Atheisten?
Eine Bibliothek der verbrannten Bücher
Die Persona des Radikalen
Vertrauen, Mißtrauen, Mut: Epistemische Wahrnehmungen, Tugenden und Gesten
Bedrohtes Wissen: Prolegomena zu einer Kulturgeschichte der Wahrheit
Harpokratismus: Gesten des Rückzugs
Sapere aude: Epistemische Tugend in historischer Perspektive
ZWEITER TEIL
FRAGILITÄT UND INVOLVIERTHEIT IN DER WISSENSBOURGEOISIE
Problematischer Transfer
Die Tafel in der Hand: Historische Bildwissenschaft und philosophische Mikrohistorie
Familiengeheimnisse: Prekärer Transfer im inneren Zirkel
Das verlorene Paket: Zur Kommunikationsgeschichte der Philosophiegeschichtsschreibung in Deutschland
Faszinationsgemeinschaften und die Informationsgeschichte gelehrten Wissens
Wissensschutz und Schutzwissen: Abwehrzauber, Antiquarianismus und magische Objekte
Mobilität und Vigilanz: Zur Informationsgeschichte von Numismatik und Orientreise unter Ludwig XIV.
Mikrogramme des Orients: Navigation im gelehrten Wissen vom Notizheft bis zum Buch
Schlußwort
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstraße 44
10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstraße 44
10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Personen für Prekäres Wissen
Martin Mulsow
Martin Mulsow, geboren 1959, studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte in Tübingen, Berlin und München. Er ist Professor für Wissenskulturen der Neuzeit an der Universität Erfurt und Direktor des Forschungszentrums Gotha. Zuvor war er Professor für Geschichte an der Rutgers University, Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton und Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Für seine Arbeit wurde er mit dem Anna-Krüger-Preis und dem Thüringer Forschungspreis ausgezeichnet. Mulsow ist Mitglied der Sächsischen und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Martin Mulsow, geboren 1959, studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte in Tübingen, Berlin und München. Er ist Professor...

