Wie alle medizinischen Fachrichtungen ist auch die Frauenheilkunde lange Zeit eine durch und durch männlich geprägte Wissenschaft gewesen. Im deutschen Sprachraum wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts Frauen an den Universitäten voll zugelassen. Zwar hat die Frauenheilkunde mit circa 77 Prozent Gynäkologinnen und 23 Prozent Gynäkologen heute insgesamt mit den größten Frauenanteil unter den medizinischen Fächern. In den Spitzenpositionen allerdings, bei den Leitungen der Fachabteilungen, Lehrstühle und Kliniken, sind 81 bis 87 Prozent von Männern besetzt. Und an der Spitze des Berufsverbandes für Gynäkologie stand noch überhaupt nie eine Frau. Damit sind selbst in der Frauenheilkunde auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus die Ausbildung, die Leitlinien für die Behandlung und die vorherrschende medizinische Meinung von Männern geprägt. Das hat ernste Folgen für die Sicht auf die Patientinnen, für ihre Gesundheit und auch für ihr Selbstbild. »Nirgendwo in der Medizin gibt es so viel Macht über Frauenkörper wie in der Gynäkologie«, sagt die ehemalige Vizevorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes, Prof. Gabriele Kaczmarczyk, die lange als Frauenbeauftragte an der Berliner Charité gearbeitet hat.
In der Medizin ganz allgemein ging man lange Zeit davon aus, dass Frauenkörper den Männerkörpern so ähnlich wären, dass man Frauen einfach als etwas kleinere Männer mitdenken könnte. So wurden in den meisten Medikamentenstudien bis in die 1990er-Jahre überhaupt keine Frauen als Probandinnen eingeschlossen – zu groß war die Angst, sie könnten unterdessen schwanger werden und die Medikamente das ungeborene Kind schädigen. Seither ist ein Veränderungsprozess in Gang gekommen, aber von einer sinnvollen Repräsentation von Frauen sind wir weit entfernt. Es ist aufwendiger, sie in den Studien zu berücksichtigen, denn dann ist es notwendig, den Zyklus der Frau mitzudenken und auch zu unterscheiden zwischen Frauen vor und nach den Wechseljahren, zwischen Personen, die hormonell verhüten, und welchen, die das nicht tun. Um zu soliden Ergebnissen zu kommen, wäre es sogar notwendig, mehr Frauen als Männer in Studien einzuschließen.
Frauenkörper sind nicht nur anatomisch, sondern auch immunologisch, genetisch und hormonell anders als Männerkörper – Unterschiede, die sich in jedem Fachgebiet auswirken. Deswegen brauchen sie eine auf sie zugeschnittene Medizin. Dass dieses Wissen in der Breite nicht konsequent umgesetzt wird, kann lebensgefährlich werden. Ein klassisches Beispiel ist der Umstand, dass Frauen nach einem Herzinfarkt prozentual häufiger sterben als Männer, weil sie andere Symptome zeigen. Diese sind aber weniger bekannt. Die Ernsthaftigkeit ihrer Erkrankung wird deshalb, etwa in der Notaufnahme, öfter übersehen, und sie werden nicht schnell genug behandelt.
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