Carl ist eine der Hauptfiguren in Ihrem Thriller. Was macht ihn so besonders und unterscheidet ihn von klassischen Gangsterfiguren?
Carl ist eher zwischen den klassischen Gangsterfiguren angesiedelt. Sehr oft finden wir zwei Ansätze: Entweder »in die Verhältnisse hineingeworfen« oder »schlicht böse«. Carl ist keins von beiden. Ja, er kommt aus einem eher proletarischen Milieu, aber zugleich aus einer Generation, die durchaus ihre Chance bekam. Und er hat auch zunächst einen bürgerlich legalen Ansatz gewählt. Bei Ridley, Betty, Mali, Jenny und Max sah das schon ganz anders aus. Die Dynamiken innerhalb der Gruppe, die zu Carls geschäftlicher Entscheidung führten, lagen mir sehr am Herzen.
Das titelgebende (ehemalige) Jugendzentrum »Die Kurve« ist ein wichtiger Ort in Ihrem Buch. Welche Bedeutung hat es für die Figuren und die Entwicklung der Geschichte?
»Die Kurve« ist der Nukleus der Story. Von hier aus nimmt alles seinen Lauf, von ihr aus lässt sich viel erklären. »Die Kurve« ist die Heimat, die nie eine war, das verlorene Paradies aus Dreck und Hoffnungslosigkeit, aus dem die Figuren nach Vincke, Marzahn, Frankfurt und schließlich Monte-Carlo vertrieben wurden. (»Vincke« ist übrigens ein ausgedachter Ort, er steht für zwanzig andere, die man überall im Revier findet).
Wie kamen Sie auf die Idee, ein Jugendzentrum als wichtigen Schauplatz in die Handlung einzubinden? (Haben Sie persönliche Erfahrungen mit solchen Einrichtungen?)
Jeder Mensch aus meiner Generation kennt solche Orte. Es gab und gibt sie in lokalen, kirchlichen und semiprofessionellen Zusammenhängen. Man begegnet sich, schließt Freundschaften und es gibt diese magischen Momente, in denen man sich in einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe verliert. Ich habe das Thema übrigens später im Roman noch einmal aufgenommen. Dann fällt auch der unglaublich schöne und poetische Satz: »Ich weiß gar nicht mehr, wann aus der Nacht der Morgen wurde.« Ich würde viel darum geben, wenn ich ihn mir ausgedacht, ihn selbst geschrieben hätte, aber ich habe ihn aufgeschnappt.
Welche Bedeutung hat die Beziehung zwischen Elisa und ihrem Vater für die Handlung?
Eine echte Beziehung wird ja nie wirklich dargestellt. Ich hatte das Problem, dass die verschränkten Handlungsbögen aus Gangsterroman, Road-Movie und einer mehr oder weniger klassischen Ermittlung gleich drei Frauenfiguren erforderten, die immensem Druck ausgesetzt sind. Bei Jenny kommt das aus ihrer Biografie und im Fall von Betty aus ihrer inneren und äußeren Zerrissenheit. Im Fall von Eliza gibt es eine Doppelkeule, bestehend aus der traditionellen Tochterrolle und den konkreten Umständen ihrer Reise.
Wie sieht Ihr Schreibprozess aus? Arbeiten Sie mit einem festen Plot oder lassen Sie sich von den Figuren leiten?
Beides. Es gibt das berühmte Was wäre, wenn, also eine in groben Zügen festgelegte Handlung und die spannende Frage, wo die Figuren mich hinführen. Im Fall der Kurve gibt es allerdings mehrere Antworten: Die Betty-Geschichte ist vergleichsweise streng geplottet, während ich bei Ridley manchmal selbst nicht wusste, was er jetzt schon wieder vorhat.
Wem möchten Sie Ihr Buch unbedingt ans Herz legen?
Auch wenn das möglicherweise overpromising klingt: Leserinnen und Lesern, die vielleicht mal einen Kriminalstoff ohne mit sich selbst beschäftigten Ermittlern, einer Leiche auf Seite 1, was sagt die Spurensicherung? und einen im Titel verankerten Handlungsort erleben möchten.
Die Kurve ist eine Reise zu sehr verschiedenen Orten in Deutschland, in Europa und in der Zeit. Ich habe alles, was mir möglich ist, dafür getan, sie spannend, emotional greifbar und trotzdem dem Kriminalgenre verhaftet zu gestalten. Wie weit kann man dieses Genre dehnen, ohne es zu verlieren? Wer die Antwort auf diese Frage sucht, wird bei
der Kurve hoffentlich fündig.