6 Fragen an Dirk Schmidt zu Die Kurve

Beitrag zu 6 Fragen an Dirk Schmidt zu <em>Die Kurve</em>
Carl ist eine der Hauptfiguren in Ihrem Thriller. Was macht ihn so besonders und unterscheidet ihn von klassischen Gangsterfiguren?
Carl ist eher zwischen den klassischen Gangsterfiguren angesiedelt. Sehr oft finden wir zwei Ansätze: Entweder »in die Verhältnisse hineingeworfen« oder »schlicht böse«. Carl ist keins von beiden. Ja, er kommt aus einem eher proletarischen Milieu, aber zugleich aus einer Generation, die durchaus ihre Chance bekam. Und er hat auch zunächst einen bürgerlich legalen Ansatz gewählt. Bei Ridley, Betty, Mali, Jenny und Max sah das schon ganz anders aus. Die Dynamiken innerhalb der Gruppe, die zu Carls geschäftlicher Entscheidung führten, lagen mir sehr am Herzen.

Das titelgebende (ehemalige) Jugendzentrum »Die Kurve« ist ein wichtiger Ort in Ihrem Buch. Welche Bedeutung hat es für die Figuren und die Entwicklung der Geschichte?
»Die Kurve« ist der Nukleus der Story. Von hier aus nimmt alles seinen Lauf, von ihr aus lässt sich viel erklären. »Die Kurve« ist die Heimat, die nie eine war, das verlorene Paradies aus Dreck und Hoffnungslosigkeit, aus dem die Figuren nach Vincke, Marzahn, Frankfurt und schließlich Monte-Carlo vertrieben wurden. (»Vincke« ist übrigens ein ausgedachter Ort, er steht für zwanzig andere, die man überall im Revier findet).
 

Häuserwand mit Kunstwerk, Balkonen und Fenstern

Hochhaus im Stile des Brutalismus


Wie kamen Sie auf die Idee, ein Jugendzentrum als wichtigen Schauplatz in die Handlung einzubinden? (Haben Sie persönliche Erfahrungen mit solchen Einrichtungen?)
Jeder Mensch aus meiner Generation kennt solche Orte. Es gab und gibt sie in lokalen, kirchlichen und semiprofessionellen Zusammenhängen. Man begegnet sich, schließt Freundschaften und es gibt diese magischen Momente, in denen man sich in einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe verliert. Ich habe das Thema übrigens später im Roman noch einmal aufgenommen. Dann fällt auch der unglaublich schöne und poetische Satz: »Ich weiß gar nicht mehr, wann aus der Nacht der Morgen wurde.« Ich würde viel darum geben, wenn ich ihn mir ausgedacht, ihn selbst geschrieben hätte, aber ich habe ihn aufgeschnappt.  

Welche Bedeutung hat die Beziehung zwischen Elisa und ihrem Vater für die Handlung?
Eine echte Beziehung wird ja nie wirklich dargestellt. Ich hatte das Problem, dass die verschränkten Handlungsbögen aus Gangsterroman, Road-Movie und einer mehr oder weniger klassischen Ermittlung gleich drei Frauenfiguren erforderten, die immensem Druck ausgesetzt sind. Bei Jenny kommt das aus ihrer Biografie und im Fall von Betty aus ihrer inneren und äußeren Zerrissenheit. Im Fall von Eliza gibt es eine Doppelkeule, bestehend aus der traditionellen Tochterrolle und den konkreten Umständen ihrer Reise.
 

Zwei-stöckiges Backsteinhaus mit Bauzaun und Rampe davor

Blick auf blau-weiße Imbissbude mit Industriekaminen im Hintergrund

Ein Blick auf ein mehrspurige Straße mit Palmen und Häusern im Hintergrund

Ein Berliner Plattenbau


Wie sieht Ihr Schreibprozess aus? Arbeiten Sie mit einem festen Plot oder lassen Sie sich von den Figuren leiten?
Beides. Es gibt das berühmte Was wäre, wenn, also eine in groben Zügen festgelegte Handlung und die spannende Frage, wo die Figuren mich hinführen. Im Fall der Kurve gibt es allerdings mehrere Antworten: Die Betty-Geschichte ist vergleichsweise streng geplottet, während ich bei Ridley manchmal selbst nicht wusste, was er jetzt schon wieder vorhat.

Wem möchten Sie Ihr Buch unbedingt ans Herz legen?
Auch wenn das möglicherweise overpromising klingt: Leserinnen und Lesern, die vielleicht mal einen Kriminalstoff ohne mit sich selbst beschäftigten Ermittlern, einer Leiche auf Seite 1, was sagt die Spurensicherung? und einen im Titel verankerten Handlungsort erleben möchten. Die Kurve ist eine Reise zu sehr verschiedenen Orten in Deutschland, in Europa und in der Zeit. Ich habe alles, was mir möglich ist, dafür getan, sie spannend, emotional greifbar und trotzdem dem Kriminalgenre verhaftet zu gestalten. Wie weit kann man dieses Genre dehnen, ohne es zu verlieren? Wer die Antwort auf diese Frage sucht, wird bei der Kurve hoffentlich fündig.

Die Kurve
eBook 14,99 €
An wen soll man sich wenden, wenn man als sterbenskranker Alt-Mafioso seine Verhältnisse neu ordnen möchte und auf seiner Deutschlandreise mehr nur als ein wenig Unterstützung benötigt? Oder wenn man als amerikanischer Tycoon den Mörder seiner Tochter aufspüren will, die in Berlin unter seltsamen Umständen zu Tode gekommen ist? In solchen Fällen ruft man besser Carl an – Carl, der in längst vergangenen Tagen das legendäre Jugendzentrum »Die Kurve« im Herzen des Ruhrgebiets leitete, bis er merkte, dass er noch ganz andere Talente hat.

Heute betreibt er ein ebenso riskantes wie lukratives Unternehmen für kriminelle Dienstleistungen. Und für Jobs wie diese kommen nur seine besten Mitarbeiter in Frage: Ridley, eine Art mathematisches Genie, ein Drogen- und Sexfreak mit Stil und Köpfchen, und die superschnelle Allesbeschafferin Betty mit dem Loch im Herzen. Für die beiden Aufträge muss Carl geradestehen. Kein Problem eigentlich. Aber beide entwickeln sich plötzlich in eine ganz andere, tödliche Richtung …

Dirk Schmidt, geboren 1964, studierte nach dem Abitur Geschichte, Germanistik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Einer frühen Phase als Drehbuchautor folgten Jahrzehnte als Texter und Kreativdirektor in verschiedenen Werbeagenturen. Erste Arbeiten für den Rundfunk bereits während des Studiums, erstes Kriminalhörspiel 1993, Debütroman Letzte Nacht in Queens 2003. Seit 2011 verantwortlich für den WDR Radio-Tatort rund um die »Task Force Hamm«, der Kult geworden ist.
Dirk Schmidt, geboren 1964, studierte nach dem Abitur Geschichte, Germanistik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften an der Ruhr-Universität...