Fleur Jaeggy erhält den Gottfried Keller-Preis 2024

Nachricht
14.05.2024
Beitrag zu Fleur Jaeggy erhält den Gottfried Keller-Preis 2024
Die in Zürich geborene und in der Schweiz aufgewachsene Autorin Fleur Jaeggy erhält für ihr literarisches Werk den 42. Gottfried Keller-Preis 2024.

In ihren auf italienisch verfassten Romanen, Erzählungen und Essays verbindet sie den heimatlichen Echoraum mit der europäischen Erzähltradition. Dabei gelingt es ihrem Werk gerade auch den zeitgenössischen Geist und die aktuelle Sensibilität zu treffen. Junge Autor:innen wie der Graphic Novelist Nathan Geldug oder Sheila Heti knüpfen mit ihrer Faszination für das schmale, aber tiefe Werk an die prophetische Einschätzung von Ingeborg Bachmann an, die der Autorin mit Blick auf ihren Erstling Il dito in bocca (1968) eine »diabolische Intelligenz« und »entwaffnende Einfachheit« attestierte. Dank der neuen Werkausgabe bei Suhrkamp wird Fleur Jaeggys Werk endlich auch im deutschsprachigen Raum vollständig greifbar.

In einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit ihrer helvetischen Herkunft und Schweizer Autoren wie Robert Walser schildert Fleur Jaeggy die schillernden Erfahrungen in einem Appenzeller Mädchen-Internat im Roman Die seligen Jahre der Züchtigung (1989), der bereits zu einem modernen Klassiker avanciert ist: »Die Lektüre dauert vier Stunden«, bemerkte Joseph Brodsky, »die Erinnerung daran das ganze Leben.« Eindringlich umkreist Fleur Jaeggy die erotisch aufgeladenen Beziehungen der jungen Frauen zwischen Aggression und Zärtlichkeit.

In Proleterka (2001/2014) weitet die Autorin die ebenfalls ambivalente Beziehung einer Tochter zu ihrem Vater vor dem Hintergrund der Zürcher Zünfte bei einer Kreuzfahrt in den Mittelmeer-Raum mit seinen Mythen. Im Reich der griechischen Inseln wird das Verdrängte in der Vater-Tochter-Beziehung gerade in der Sprachlosigkeit bürgerlicher Verschwiegenheit eindringlich fühlbar. Eine Leerstelle der Liebe, um die die Worte kalt und klar kreisen. Dabei ist es kein Zufall, dass das Wort »Narbe« im italienischen Text auf Deutsch erscheint und die kindliche Verletzung benennt. Denn immer wieder durchziehen Lehn- und Leitworte aus dem Französischen und Deutschen Jaeggys italienische Texte und vernetzen sie mit ihrer kosmopolitischen Kultur und den unterschiedlichen Sprachtraditionen der Weltliteratur.

Motivisch verbunden sind diese Romane mit Fleur Jaeggys Erzählungen und ihrer Kurzprosa, darunter der zeitlosen Sammlung Ich bin der Bruder von XX (2014). Auch hier verdichten sich im Erzählraum zwischen Autobiografie und Fiktion immer wieder existenzielle Nöte und Sehnsüchte auf dem Hintergrund einer puritanischen Herkunft. Die familiären Beziehungen von Bruder, Schwester, Eltern, Kind werden wie beim Blick durch ein Kaleidoskop in allen erdenklichen Spielarten erkundet, jenseits von Gut und Böse, jenseits von Ödipus und Antigone.

In ihrem gesamten Werk gelingt es der Autorin die existenzielle Zerrissenheit, die Ambivalenz der Liebe und die Ekstasen des Wahns in die kristalline Klarheit einer Sprache zu fassen, deren tiefe Klangfülle dem mystischen Schweigen entsteigt und mit einem untrüglichen Gefühl für Rhythmus verschmilzt.

Der Gottfried Keller-Preis und die Ehrengaben richten sich 2024 ganz auf die italienische Sprache in der Schweiz. Die Gaben werden an eine Schriftstellerin, einen Schriftsteller und einen Verein verliehen, die das Italienische auf dem Papier, in der Fantasie und auf der Straße lebendig machen, und das südlich der Alpen, in der übrigen Schweiz sowie auf der internationalen Bühne. Die Ehrengaben der Martin Bodmer-Stiftung gehen an den Schriftsteller Matteo Terzaghi. Der Gottfried Keller-Preis ist einer der renommiertesten und ältesten Literaturpreise der Schweiz. Seit 1919 wird der Preis alle zwei bis drei Jahre von der Martin Bodmer-Stiftung verliehen. Zu den Preisträgern gehören C.F. Ramuz (1927), Hermann Hesse (1936), Meinrad Inglin (1965), Elias Canetti (1977), Erika Burkart (1992), Agota Kristof (2001), Noëlle Revaz (2022). Die italienischsprachigen Preisträger sind Ignazio Silone (1973), Giovanni Orelli (1997), Fabio Pusterla (2007) und Pietro De Marchi (2016). Neben dem Hauptpreis vergibt die Stiftung Ehrengaben für literarische Projekte verschiedener Art – Übersetzungen, Veröffentlichungen, wissenschaftliche oder künstlerische Arbeiten –, die sich durch ihre Qualität, Innovation oder Relevanz für die Verbreitung des Werks von Keller auszeichnen. Die Gewinner des Sonderpreises für italienische Sprache sind Piero Bianconi (1975), Giorgio Orelli (1985), Anna Felder (1989) und Donata Berra (2001). Eine Ehrengabe wurde 1937 auch an Robert Walser verliehen. Dem Stiftungsrat gehören Thomas Bodmer (Präsident), Evelyn Braun und Ursina Schneider-Bodmer an, die Jury besteht aus Ursula Amrein, Vanni Bianconi, Ivan Farron und Stefan Zweifel. Der Gottfried Keller-Preis ist mit 30.000 Schweizer Franken und die Ehrengaben mit je 10.000 Schweizer Franken dotiert. Die Preisverleihung findet im Oktober 2024 in Zürich statt.

Veröffentlichungen von Fleur Jaeggy

Die seligen Jahre der Züchtigung

12,00 €

Die Angst vor dem Himmel

12,00 €

Proleterka

13,00 €

Ich bin der Bruder von XX

22,00 €
12,00 €
12,00 €
13,00 €
22,00 €

»Mehr als Charme findet man bei Fleur Jaeggy in fast all ihren Texten eine Kraft, die stets unterdrückt bleibt, ein Feuer, das unter der Eisdecke brennt, aber auch eine Distanz, die verhindert, dass das Eis jemals schmilzt.«
Annabelle Hirsch, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
»Fleur Jaeggy ist der berühmteste Geheimtipp der Schweizer Literatur.«
Rainer Moritz, Neue Zürcher Zeitung
»Eine wunderbare, brillante, wilde Autorin.«
Susan Sontag
»Mehr als Charme findet man bei Fleur Jaeggy in fast all ihren Texten eine Kraft, die stets unterdrückt bleibt, ein Feuer, das unter der Eisdecke brennt, aber auch eine Distanz, die verhindert, dass das Eis jemals schmilzt.«
Annabelle Hirsch, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
»Fleur Jaeggy ist der berühmteste Geheimtipp der Schweizer Literatur.«
Rainer Moritz, Neue Zürcher Zeitung
»Eine wunderbare, brillante, wilde Autorin.«
Susan Sontag
»Fleur Jaeggy entwirft mit ihren Erzählungen eine innere Landkarte der Schweiz, fesselnd und bestürzend.«
Maike Albath, Deutschlandfunk Büchermarkt
»Die Erzählungen Jaeggys hinterlassen eine Furche, ein leuchtendes Zeichen, in dessen Licht sich Schrecken und Grausamkeit des Lebens abzeichnen.«
Libertà

Fleur Jaeggy ist eine schweizerische und italienischsprachige Autorin, Ex-Model, Intellektuelle, Mystikerin, inzwischen etwas über 80 Jahre alt, ehemals enge Vertraute Ingeborg Bachmanns, Witwe des Adelphi-Verlegers Roberto Calasso, heute lebt sie weitgehend zurückgezogen in Mailand. Ihr weltweit gefeiertes Werk umfasst Romane, Erzählungen und Geschichten – beginnend mit Ich bin der Bruder von XX, wird es fortan vollständig im Suhrkamp Verlag erscheinen.
Fleur Jaeggy ist eine schweizerische und italienischsprachige Autorin, Ex-Model, Intellektuelle, Mystikerin, inzwischen etwas über 80 Jahre alt,...