Konstantin Richter über Dreihundert Männer

Beitrag zu Konstantin Richter über <em>Dreihundert Männer</em>

»Ein Wunder von einem Buch.«

Wolfram Eilenberger

Ihr Buch heißt Dreihundert Männer. Wie sind sie darauf gekommen und wer waren diese titelgebenden dreihundert Männer?
Das Buch ist eine Geschichte der deutschen Großunternehmen. Diese waren mehr als ein Jahrhundert lang aufs engste miteinander verflochten. Ihre Vertreter trafen in Aufsichtsräten und anderswo aufeinander und übten einen enormen Einfluss auf die Gesamtwirtschaft aus. Die »Dreihundert« stammt von Walther Rathenau, der als Sohn des AEG-Gründers selbst dazugehörte. Er sagte einmal, dass dreihundert Männer, die sich alle kennen, über die Geschicke der Wirtschaft bestimmen.

Sie schlagen in Ihrem Buch den Bogen vom Kaiserreich bis zur New Economy. Wann löste sich die alte Ordnung der deutschen Wirtschaft, die Deutschland AG, auf?
Der Kern des deutschen Kapitalismus lag in den Aktienbeteiligungen. Die Unternehmen waren derart miteinander verbunden, und insbesondere die Großbanken und die Allianz-Versicherung besaßen Anteile an den berühmten Industriekonzernen. Dieses Geflecht, das die deutsche Wirtschaft vor fremdem Einfluss schützte, wurde schon in den 1970er Jahren als nicht mehr zeitgemäß empfunden und nach der Jahrtausendwende endgültig aufgelöst.

Alfred Krupp, die Brüder Mannesmann, Thomas Middelhoff – wir begegnen in Ihrem Buch ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten. Gibt es den »deutschen Unternehmer« überhaupt oder ist das ein Mythos?
Den deutschen Unternehmer gibt es. Aber Krupp und die Mannesmanns waren Gründerunternehmer und Pioniere, die im 19. Jahrhundert Großes schufen. Die typischen dreihundert Männer kamen erst zum Zug, als die Handwerksbetriebe der Gründerunternehmer zu riesigen Organisationen heranwuchsen. Auch die dreihundert Männer sahen sich als Unternehmer, weil sie so agierten als gehörten ihnen die Unternehmen, in denen sie wirkten. In Wahrheit aber waren sie zumeist angestellte Führungskräfte. Oder wie man heute sagen würde: Manager.  

Sie verknüpfen Unternehmensgeschichte mit politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Inwiefern spiegelt sich die Geschichte dieses Landes in den Schicksalen großer Konzerne wider?
Ich würde es anders formulieren: Die Unternehmen haben die Politik und Kultur stark geprägt, und die deutsche Geschichte lässt sich ohne dieses Zutun fast nicht erzählen, ich denke da nicht bloß an die Gründerzeit, sondern auch an den Nationalsozialismus und das Wirtschaftswunder. Aber diese Historie ist in den letzten Jahrzehnten ein wenig in Vergessenheit geraten, ich wollte ein Buch schreiben, das sich gut lesen lässt und das die Geschichte der Unternehmen wieder in Erinnerung ruft. 

Sie erzählen die deutsche Wirtschaftsgeschichte in temporeichen Episoden. Wie sind Sie vorgegangen, um aus den historischen Fakten und Archiv-Materialien nach der Recherche lebendige Szenen zu entwickeln?
Historiker haben die Unternehmensgeschichten in den letzten Jahrzehnten sehr sorgfältig aufgearbeitet, ich habe in Bibliotheken und Archiven nach Geschichten gesucht, die sich fürs anekdotische Erzählen eignen, nach Bezügen zur Politik und zur Kultur. Im Buch kommen deshalb nicht bloß Industriebosse vor, sondern auch Dichter, Komponisten und sogar eine Szene aus dem Film Pretty Woman. Zugleich versuche ich, die großen Entwicklungslinien der Wirtschaftsgeschichte nachzuzeichnen. 

Was hat Sie beim Recherchieren überrascht?
Mich hat zum Beispiel überrascht, wie alt die Warnungen vor einem Niedergang der bundesdeutschen Wirtschaft sind. Noch während des Wirtschaftswunders schwand der Optimismus, und die heute so sattsam bekannten Klagen setzten ein. In einer Titelgeschichte aus dem Jahr 1966 hat Der Spiegel all das aufgezählt, was uns immer noch beschäftigt: die mangelnden Investitionen in Zukunftsindustrien, den Abstand zu den USA in Forschung und Entwicklung, den Exodus qualifizierter Kräfte, die Abhängigkeit von der Autoindustrie usw.

Sie beschreiben technische Pioniere, Finanzakteure, Manager. Was hat Innovation in Deutschland historisch besonders gefördert?
Die Innovationslust war in der Gründerzeit am größten, die Wirtschaft wurde liberalisiert, die Nation politisch geeint, auch ein gewisser Patriotismus spielte eine Rolle, man wollte als Industrienation zu den Engländern aufschließen. Viele der großen Unternehmen, die heute noch existieren, sind in dieser Zeit entstanden. Später haben diese Unternehmen eher von der sogenannten inkrementellen Innovation gelebt, der Fortentwicklung bereits bestehender Technologien.

Im Moment lesen wir immer wieder von einer tiefen Krise, in der sich die deutsche Wirtschaft befindet. Mit Ihrem langen Blick in die Geschichte: Teilen Sie diese Einschätzung?
Die bestehenden Geschäftsmodelle der Deutschen stehen unter Druck, und die ganze Unternehmenskultur ist sehr auf das Bewahren ausgerichtet; man könnte sagen, dass es am Mut zur Disruption fehlt. Zudem sind die Herausforderungen der Gegenwart ganz andere als früher, und auf die alten Strukturen – die Netzwerke der Deutschland AG -- können sich die Unternehmen nicht mehr stützen. Andererseits sind die Deutschen in der Vergangenheit immer wieder mit schweren Krisen fertiggeworden, oft sind sie sogar gestärkt daraus hervorgegangen. Gerade weil ich mich für dieses Buch mit einem langen Zeitraum beschäftigt habe, fällt es mir schwer, aus der jetzigen Krise, die eine schwere ist, weitreichende Schlüsse zu ziehen.  

Eine glänzend erzählte Geschichte der deutschen Wirtschaft

Dreihundert Männer
eBook 25,99 €

Dreihundert deutsche Männer, schrieb Walther Rathenau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bestimmten die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents. Er meinte das enge Geflecht aus Bankiers, Industriekapitänen und Lobbyisten, das sich mit dem Aufstieg von Firmen wie der Allianz, Krupp oder Siemens herausgebildet hatte. Man kannte einander, man sprach miteinander – und man sprach sich ab. Bis in die 1990er Jahre prägte dieses Netzwerk namens »Deutschland AG« die Politik und die Unternehmenskultur in der Bundesrepublik.

Konstantin Richter montiert die Geschichten dieser Macher und Magnaten zu einer temporeichen szenischen Erzählung. In meisterhaft arrangierten Episoden lässt er ihre Welt zu unserer werden. So entsteht ein einzigartiges Epos, das rund 150 Jahre umspannt: von der Start-up-Nation Kaiserreich bis in die krisengebeutelte Gegenwart, vom Aufstieg der Deutschland AG bis zum ihrem Niedergang.


Konstantin Richter, geboren 1971, ist Autor und Journalist. Er hat regelmäßig für deutsch- und englischsprachige Medien wie The Wall Street Journal, The Guardian, The New York Times oder Die Zeit geschrieben. Darüber hinaus hat er mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2017 Die Kanzlerin. Eine Fiktion.
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