Jonathan Landgrebe im Gespräch zum Inhaberwechsel

Nachricht
12.10.2024
Beitrag zu Jonathan Landgrebe im Gespräch zum Inhaberwechsel
Der traditionsreiche Suhrkamp Verlag wird vom Unternehmer Dirk Möhrle übernommen. Hier äußerst sich der Suhrkamp-Chef Jonathan Landgrebe erstmals zur Krise des Hauses.
Interview: Thomas E. Schmidt und Adam Soboczynski

In der an Drama nicht eben armen Geschichte des renommierten Suhrkamp Verlags gab dieser am vergangenen Freitag bekannt, dass die Witwe des einstigen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, Ulla Unseld-Berkéwicz, ihre Anteile am Verlag abgibt. Auch die Familie Ströher zieht sich zurück. Neuer und alleiniger Eigentümer ist von November an der Hamburger Unternehmer Dirk Möhrle, der bereits seit 2015 39 Prozent an dem Traditionsverlag hält. Die Süddeutsche Zeitung berichtete ebenfalls am Freitag von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen der Verlag stecke. Hier äußerst sich dazu erstmals Jonathan Landgrebe, der seit 2015 Verleger und Vorstandsvorsitzender von Suhrkamp ist.

DIE ZEIT: Herr Landgrebe, der Suhrkamp Verlag steht vor einem gewaltigen Umbruch. Ulla Unseld-Berkéwicz und die Familie Ströher ziehen sich als Eigentümer zurück. Der Verlag ist nun vollständig an den Unternehmer Dirk Möhrle gefallen. Damit ist die Traditionslinie des 2002 gestorbenen legendären Verlegers Siegfried Unseld gekappt. Wie konnte es dazu kommen?
Jonathan Landgrebe: Als diese Eigentümerkonstellation 2015 entstand, war ich sicher, dass wir damit eine belastbare Struktur haben. Das ist nicht aufgegangen. Denn der Verlag wurde zwar durch mich geleitet, aber natürlich gehören zum guten Funktionieren des Verlags auch der Aufsichtsrat, der mit Rachel Salamander, Ulla Unseld-Berkéwicz und der Ströher-Familie besetzt war. Das Zusammenspiel aller muss funktionieren. Doch es funktionierte nicht gut. Über all die Jahre hatte sich eine komplexe und emotionale Situation herausgebildet. Mit dem Verkauf der Aktien an Dirk Möhrle ist dieser Knoten geplatzt.

ZEIT: Aus Branchenkreisen hörte man seit Längerem, dass immer wieder keine Einigkeit im Aufsichtsrat, keine Einigkeit zwischen den Eigentümern bestand. Trifft das zu?  
Landgrebe: Bei allen Entscheidungen kommt es darauf an, einen gemeinsamen Nenner zu finden und die erforderlichen Diskussionen konstruktiv zu führen. Das war zunehmend schwierig. Die Beteiligten haben sich schlussendlich hingesetzt und überlegt, wie die Situation gelöst werden kann. Und die von allen gewählte Lösung war, dass Dirk Möhrle die Aktien der anderen Gesellschafter erwirbt.

ZEIT: Näherliegend wäre es gewesen, wenn die Familie Ströher, die Erben der Firma Wella, den Verlag gekauft hätte. Sie trat 2015 in den Verlag ein und ermöglichte, dass es nach der Fehde mit dem vormaligen Minderheitsgesellschafter Hans Barlach für Suhrkamp einen Neustart gab – damals befand sich der Verlag in der Insolvenz.
Landgrebe: Ja, ohne die Familie Ströher wäre der Verlag 2015 nicht gerettet worden, und auch danach haben sich Silvia und Ulrich Ströher verlässlich und uneigennützig für die Belange des Verlags eingesetzt. Nun haben sie im Sinne des Verlags an der Ermöglichung einer neuen Lösung mitgewirkt.

ZEIT: Ist der Verlag ökonomisch derart in Schwierigkeiten, dass es zum Verkauf kommen musste?
Landgrebe: Wir sind keineswegs in einer finanziell desaströsen Lage. Suhrkamp ist nicht in Not. Bis 2021 hat der Verlag jedes Jahr Gewinne erwirtschaftet und auch an die Aktionäre ausgeschüttet. Aber es stimmt: Das momentane Marktumfeld ist für uns nicht einfach. Wir hatten nach der Coronazeit hohe Remittenden, also Rücksendungen nicht verkaufter Bücher durch Buchhandlungen. Durch die Inflation sind die Produktionskosten gestiegen. Und gleichzeitig gibt es eine Veränderung des Lese- und Kaufverhaltens, mit der wir umgehen müssen. Da geht es uns nicht anders als anderen Verlagen auch. Und es ist auch nicht mehr selbstverständlich, dass Max Frisch oder Bertolt Brecht in der Schule gelesen werden. Die wirtschaftliche Situation ist aber auch nicht existenziell besorgniserregend, wie gemutmaßt wird. Eine Eigentümersituation, in der man bereit ist, auch in schwierigen Zeiten mutige Entscheidungen finanziell und ideell mitzutragen, ist in diesen Zeiten natürlich von unschätzbarem Wert. Und diese Eigentümersituation ist nun gefunden.

ZEIT: Bekannt ist, dass der Verlag im Jahr 2022 270.000 Euro Verluste gemacht hat. Wie sieht es seitdem aus?
Landgrebe: Wir haben bis 2022 viele Jahre wirtschaftlich erfolgreich gearbeitet. Zu diesem Zustand müssen wir zurückkommen. Wir sind bereits auf einem guten Weg dorthin.

ZEIT: Wollte oder konnte Ulla Unseld-Berkéwicz, die Witwe von Siegfried Unseld, nicht in den Verlag investieren?
Landgrebe: Im Ergebnis gab es eine solche Investition nicht.

ZEIT: Sind Sie erleichtert, dass Ulla Unseld-Berkéwicz ausgestiegen ist?  
Landgrebe: Ich bin Ulla Unseld-Berkéwicz dankbar für die Tatsache, dass sie mir die Aufgabe übertragen hat, den Verlag zu leiten, und sich leidenschaftlich für die Unabhängigkeit des Verlags von Konzernen eingesetzt hat. Gemeinsam haben wir den Umzug des Verlags und die Krise 2013 gemeistert. Dass an einem bestimmten Punkt ein Generationenwechsel stattfindet, ist wichtig. Und ich finde es gut und richtig, dass man jetzt diesen Schnitt gemacht hat.  

ZEIT: Bereits 2013 war ja ein Streitpunkt die sehr große und repräsentative Villa im Berliner Stadtteil Nikolassee, die Ulla Unseld-Berkéwicz bewohnt und die ihr gehört. Der Verlag mietet seit vielen Jahren Teile des Anwesens und unterhält die Räumlichkeiten. Dabei fanden dort unserer Kenntnis nach nur sporadisch Veranstaltungen statt. Hat dies zu Diskussionen geführt?
Landgrebe: Selbstverständlich geht es generell immer auch darum, was der Verlag sich leisten kann. Er hat in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft eine aufwendige Struktur mit einem Aufsichtsrat finanziert und auch die Räume in Frankfurt in der Klettenbergstraße, und ja, auch die Räume am Nikolassee in Berlin gehörten dazu. Diese Kosten werden in Zukunft zu größten Teilen wegfallen, wodurch der Verlag auch wirtschaftlich erheblich entlastet wird.  

ZEIT: Von welcher Summe sprechen wir hier?
Landgrebe: Über die letzten Jahre hinweg geht es hier schon um Millionenbeträge.

ZEIT: Welche Strategien haben Sie, um die schwierige Situation des Verlags zu lösen?
Landgrebe: Schauen Sie auf das Programm des Verlags und welche herausragenden Bücher wir in der Belletristik und im Sach- und Wissenschaftsprogramm allein in diesem Herbst veröffentlichen. Kein anderes Haus gewinnt derart häufig die wichtigsten Literatur- und Buchpreise. Und unsere Bücher verkaufen sich auch gut, gerade jetzt zum Beispiel die Bestseller von Isabel Allende, Nora Bossong und Steffen Mau. Aber der Verlag lebt in der Breite nicht nur von Bestsellern, sondern insbesondere von der Midlist, Büchern, die sich zwischen 5.000 und 15.000 Mal verkaufen. Wir wollen in beiden Bereichen mehr erreichen. Titel mit hohem Verkaufspotential werden wir in Zukunft auf einer starken finanziellen Basis einfacher akquirieren können, Dirk Möhrle hat hierfür Investitionen zugesagt. Und in der Midlist werden wir noch mehr tun, um jedes einzelne Buch erfolgreich zu machen.  

ZEIT: Die Süddeutsche Zeitung berichtete, dass Sie 2022 das neue Verlagshaus in der Berliner Torstraße gekauft haben und in jenem Jahr circa 15 Millionen Euro an Krediten benötigten. Trifft das zu?  
Landgrebe: Dieses Haus ist für den Verlag ökonomisch ein Glücksfall, weil es die Kosten im Vergleich zu der früheren Anmietung von Räumlichkeiten erheblich gesenkt hat. Unser Verlagshaus ist zu sehr vernünftigen Kreditkonditionen finanziert, es befindet sich im Eigentum des Verlags und stellt damit eine Sicherheit für den Verlag dar. Es war wirtschaftlich sinnvoll, so zu verfahren. In jedem Fall ist es absurd, das zu skandalisieren.

ZEIT: Dirk Möhrle hat keinen Hintergrund im Buchverlagswesen, er führte eine Baumarktkette. Warum jetzt diese Investition?
Landgrebe: Ich glaube, er hat den Verlag gekauft, weil er sich für den Verlag begeistert und weil er sieht, welche Bedeutung dem Verlag und seinen Büchern nach wie vor zukommt.

ZEIT: Was lässt Sie darauf hoffen, dass es ein langfristiges Engagement ist? Mit einer hundertprozentigen Beteiligung ist das komplizierte Geflecht aufgelöst worden. Jeder Eigentümer könnte den Verlag jetzt auch gewinnbringend weiterverkaufen.
Landgrebe: Dirk Möhrle und ich stehen im engen Austausch und wir vertrauen einander. Er hat sich in den letzten zehn Jahren bereits im Verlag engagiert und dabei verlässlich, zugewandt und mit großer Umsicht agiert. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er den Verlag als eine langfristige Investition sieht.  

ZEIT: Es gab im Frühjahr in der Buchbranche Gerüchte, dass das US-amerikanische Verlagshaus Simon & Schuster Interesse am Suhrkamp Verlag hat. Können Sie das bestätigen?
Landgrebe: Das kann ich nicht bestätigen.  

ZEIT: Sie haben Verluste gemacht. Planen Sie betriebsbedingte Kündigungen?  
Landgrebe: Nein.

ZEIT: Sind Sie noch in der Lage, für hoch gehandelte Manuskripte und Buchrechte mitbieten zu können?
Landgrebe: Wie ich schon sagte, wir werden in Zukunft an dieser Stelle noch handlungsfähiger. Aber wir sind kein Konzernverlag, sondern ein mittelständisches Unternehmen und müssen deshalb unser Kapital auch weiterhin mit Bedacht einsetzen. Dass wir im Verlag gleichzeitig auch immer in Qualität investieren, kommt hinzu. Vom Manuskript bis zum Lektorat und der Herstellung nehmen wir Bücher auf eine Weise ernst, wie es viele andere Häuser schon lange nicht mehr tun. Auch das kostet Geld, und wir werden auch weiterhin in Qualität, wie wir sie verstehen, investieren.

ZEIT: Derzeit wird vielfach über postkoloniale Fragen oder die Politik Israels diskutiert. Das betrifft auch Ihre Bücher. Wie positioniert sich der Verlag dazu?
Landgrebe: Der Verlag positioniert sich durch die Bücher, die er publiziert. Dabei sind wir uns – verkürzt gesagt – der Verantwortung und Tradition, die der Verlag mit sich bringt, sehr bewusst.

ZEIT: Aber es gab immer wieder Diskussionen, beispielsweise über Judith Butlers propalästinensische Positionen, Uwe Tellkamps Auftritte oder die BDS-Symphatien von Annie Ernaux.  
Landgrebe: Wir veröffentlichen selbstverständlich keine Bücher, die wir als antisemitisch einstufen. Wir veröffentlichen aber durchaus Bücher von Autoren, die in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit kontrovers diskutierte Positionen vertreten. Denn es wäre kontraproduktiv, jedes Mal in Panik auszubrechen, wenn es kontrovers wird.

ZEIT: Gab es vonseiten der bisherigen Eigentümer Versuche, auf das Programm Einfluss zu nehmen?
Landgrebe: Es hat innerhalb des Aufsichtsrats Diskussionen über Bücher und Autoren gegeben. Ich habe aber immer Wert darauf gelegt, dass die Unabhängigkeit des Verlags gewahrt bleibt. Und der neue Eigentümer hat mir versichert, dass er die Unabhängigkeit des verlegerischen Handelns hochhalten wird und aus seiner Inhaberposition nicht ins Programm interveniert. Das empfinde ich als Erleichterung.

ZEIT: Welche Verdienste hat aus Ihrer Sicht Ulla Unseld-Berkéwicz?
Landgrebe: Sie hat das schwierige Erbe Siegfried Unselds angenommen und sich als legitime Erbin über viele Jahre hinweg leidenschaftlich für den Erhalt des Verlags im Sinne seiner Tradition eingesetzt.  

ZEIT: Und was waren die größten Fehler von Unseld-Berkéwicz?  
Landgrebe: Zuletzt hätte ich mir gewünscht, dass Entscheidungen, die in diesem Jahr schließlich getroffen wurden, einige Zeit früher diskutiert und beschlossen worden wären.

ZEIT: Was hat der neue alleinige Eigentümer mit dem Verlag vor?  
Landgrebe: Dirk Möhrle wird dafür sorgen, dass wir auch in turbulenten Zeiten engagiert Bücher verlegen können.

ZEIT: Dirk Möhrle hat einst die Anteile von Hans Barlach übernommen, mit dem sich Ulla Unseld-Berkéwicz so entsetzlich gestritten hat. Könnte es nicht sein, dass wir es schon wieder mit jemandem zu tun haben, der dem Verlag viel Geld entziehen will? Dass Barlach in neuer Gestalt wieder aufgetaucht ist?  
Landgrebe: Das ist eine völlig unbegründete Spekulation. Ich bin mir sicher, dass das nicht der Fall ist. Dirk Möhrle ist genau der richtige Investor für den Verlag und ich bin froh, dass es zu dieser Lösung gekommen ist. In den letzten Tagen haben mir gegenüber viele unserer Autorinnen und Autoren und Menschen aus dem Umfeld des Verlags ihre Unterstützung für diesen Schritt zum Ausdruck gebracht. Es wird keinen Bruch mit der Tradition des Hauses geben. Wir wollen das Programm erfolgreich fortentwickeln mit unseren Autorinnen und Autoren, und mit den neuen Autorinnen und Autoren, die hinzukommen werden.

Das Interview erschien zuerst am 6. Oktober 2024 bei ZEIT ONLINE. © Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
 

ENTDECKEN

Nachricht
Dirk Möhrle, der neue Inhaber des Suhrkamp Verlags, spricht im Interview mit der FAZ über die Zukunft des Verlags.
Nachricht
Presseinformation und Statements zur aktuellen Berichterstattung über die Eigentumsverhältnisse der Suhrkamp Verlag AG
Nachricht
Dirk Möhrle, der neue Inhaber des Suhrkamp Verlags, spricht im Interview mit der FAZ über die Zukunft des Verlags.
Nachricht
Presseinformation und Statements zur aktuellen Berichterstattung über die Eigentumsverhältnisse der Suhrkamp Verlag AG