Im 17. Jahrhundert schlägt die Geburtsstunde der Religionswissenschaft. Sie entsteht aus der Frage nach der Herkunft der Götter, des Polytheismus, der „Idolatrie“. Der Monotheismus, darin war man sich einig, bildete die Urreligion: Das war nicht die Religion der Offenbarung, sondern die Religion der Natur und der Vernunft, die allen Menschen gemeinsam und auch in allen heidnischen Religionen aufspürbar ist. Die Vielgötterei entstand erst mit den Staaten; denn Herrschaft braucht die...
Im 17. Jahrhundert schlägt die Geburtsstunde der Religionswissenschaft. Sie entsteht aus der Frage nach der Herkunft der Götter, des Polytheismus, der „Idolatrie“. Der Monotheismus, darin war man sich einig, bildete die Urreligion: Das war nicht die Religion der Offenbarung, sondern die Religion der Natur und der Vernunft, die allen Menschen gemeinsam und auch in allen heidnischen Religionen aufspürbar ist. Die Vielgötterei entstand erst mit den Staaten; denn Herrschaft braucht die Götter, um dem Volk politische und moralische Orientierung zu geben. Unter diesen Bedingungen zog sich die Urreligion in den Untergrund zurück: So entstanden die Mysterien.
Grundmodell dieser Entwicklung ist das Alte Ägypten, der erste Staat der Geschichte, in dem sich diese religiöse Doppelstruktur besonders klar ausprägte. Die Ägypter hatten zwei Schriften, so las man es bei den Griechen: eine fürs Volk, eine für die Mysterien, und sie bauten über der Erde für die offizielle und unter der Erde für die geheime Religion, nämlich den Kult der verschleierten Isis, in der man Spinozas Deus sive Natura erkannte: oben also die vielen Götter, unten der Gott der Philosophen. In dieses Bild blickten die Geheimgesellschaften wie in einen Spiegel.
Ende des 18. Jahrhunderts hoben Lessing, Mendelssohn und andere diese Idee der doppelten Religion auf eine neue Ebene. An die Stelle der Mysterien trat bei ihnen die Idee einer „Menschheitsreligion“ und an die Stelle der Kultur, die zwei Religionen hat, der Mensch, der sich einerseits seiner angestammten Kultur, Nation und Religion und andererseits einer menschheitlichen Verbundenheit zugehörig weiß. Keine Religion besitzt die Wahrheit, allen aber ist sie als Ziel aufgegeben. In dieser Form gewinnt die Idee der doppelten Religion im Zeitalter der Globalisierung eine ungeahnte Aktualität.
Einführung
Teil I: Die Idee der zweifa chen Religion: Geschichte und Aktualität
1. Ägyptische Grundlagen: Der Doppelsinn der Zeichen
Reliligio duplex und die Endsituation der ägyptischen Kultur
Sakramentale Audeutung: Der Doppelsinn der Zeichen
Vklärungen
Initiationsverhre
2. Vom Doppelsinn der Zeichen zur doppelten Religion
Verba duplicata: Moses Maimonides
Ägyptische Hieroglyphen und mosaische Gesetze: John Spencer
Die platonische Konstruktion der doppelten Religion: Ralph Cudworth
3. Reliligio duplex und Politische Theologie
John Toland und die Kritik der Politischen Theologie
William Warburton und die Rettung der Politischen Theologie
Das Geheimnis im Zeichen von Moral und Politik
4. Reliligio duplex und die Freimaurerei
Geheimbundromane
Das Geheimnis im Zeichen von Natur und Offenbarung
Das unterirdische Ägypten
Die Zauberflöte: Opera duplex
5. Im Zeitalter der Globalisierung: Reliligio duplex als doppelte Mitgliedschaft
Globalisierung, Kosmopolitismus und kulturelles Gedächtnis
Globalisierungsschübe und universalistische Ansätze
Alle Götter sind eins: religiöser Kosmopolitismus
Die Ringparabel: Toleranz als kosmopolitisches Projekt
Moses Mendelssohn und die Idee der »Menschenreligion«
Patriot und Weltbürger: Lessings Ernst und Falk, mit einem Blick auf Herder und Wieland
Homo duplex
Ausblick: Reliligio duplex heute?
Teil II: Materialien zur Mysterienforschung der Freimaurer
1. Die Freimaurer auf der Suche nach ihrer Vergangenheit
2. Beyerle und Starck über Mysten, doppelte Religion und Freimaurerei
3. Mysterienbeiträge im ›Journal für Freymaurer‹
Einführung
Ignaz von Born, Über die Mysterien der Ägypter
Weitere Beiträge zu antiken Mysterien
Karl Joseph Michaeler, Über Analogie zwischen dem Christentum der ersten Zeiten und der Freimaurerei
Joseph Anton von Bianchi, Über die Magie der alten Perser und die mythischen Geheimnisse
Ignaz von Born, Über die Mysterien der Inder
Anton Kreil, Geschichte des pythagoreischen Bundes
Karl Haidinger, Über die Magie
Anton Kreil, Geschichte der Neoplatoniker
Carl Leonhard Reinhold, Über die kabirischen Mysterien
Anton Kreil, Über die wissenschaftliche Maurerei
Carl Leonhard Reinhold, Über die Mysterien der alten Hebräer
Carl Leonhard Reinhold, Über die größten Mysterien der Hebräer
Austin Veit von Schittlersberg, Über den Einfluss der Mysterien der Alten auf die Flor der Nationen
Anton Kreil, Über die eleusinischen Mysterien
Michael Durdon, Über die Mysterien der Etrusker, insbesondere über die Geheimnisse des Bacchus
Rücksicht: Gibt es ›doppelte Religionen‹?
Noah und Mose
Sichtbare und unsichtbare Religion
Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG
Torstraße 44
10119 Berlin
info@insel-verlag.de
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Personen für Religio duplex
Jan Assmann
Jan Assmann, geboren 1938 in Langelsheim, war Ägyptologe, Religions- und Kulturwissenschafter. Von 1976 bis 2003 war er ordentlicher Professor für Ägyptologie in Heidelberg, als Gastprofessor führte es ihn nach Berlin, München, Paris, Jerusalem und in die USA. Seit 1978 leitete er ein Grabungsprojekt in Luxor (Oberägypten). Mit seiner Ehefrau Aleida Assmann gründete er im selben Jahr den Arbeitskreis Archäologie der literarischen Kommunikation. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet, 2018 erhielt er gemeinsam mit Aleida Assmann den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Jan Assmann verstarb am 19. Februar 2024 im Alter von 85 Jahren in Konstanz.
Jan Assmann, geboren 1938 in Langelsheim, war Ägyptologe, Religions- und Kulturwissenschafter. Von 1976 bis 2003 war er ordentlicher Professor für...

