Der Mut zur Wahrheit

Die Regierung des Selbst und der anderen II. Vorlesungen am Collège de France 1983/84
Aus dem Französischen von Jürgen Schröder
Der Mut zur Wahrheit
Die Regierung des Selbst und der anderen II. Vorlesungen am Collège de France 1983/84
Aus dem Französischen von Jürgen Schröder

Die Vorlesung aus Michel Foucaults letztem Lebensjahr konfrontiert Sokrates mit den Kynikern, die strahlende Gründergestalt der abendländischen Philosophie mit den selbsternannten Underdogs des Denkens. Die Kyniker stellen sich in die von Sokrates begründete Tradition eines Mutes, der »Wut, Ärger, Rache und sogar Gerichtsverhandlungen riskiert, um die Menschen gegen ihren Willen dazu zu bringen, sich um sich selbst, um ihre Seele und die Wahrheit zu kümmern«. Diese Prüfung seiner selbst und...

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Die Vorlesung aus Michel Foucaults letztem Lebensjahr konfrontiert Sokrates mit den Kynikern, die strahlende Gründergestalt der abendländischen Philosophie mit den selbsternannten Underdogs des Denkens. Die Kyniker stellen sich in die von Sokrates begründete Tradition eines Mutes, der »Wut, Ärger, Rache und sogar Gerichtsverhandlungen riskiert, um die Menschen gegen ihren Willen dazu zu bringen, sich um sich selbst, um ihre Seele und die Wahrheit zu kümmern«. Diese Prüfung seiner selbst und der anderen war für die kommenden Technologien des Selbst von entscheidender Bedeutung.

"Erkenntnistheoretische Strukturen und Formen der Alethurgie. – Genealogie der Untersuchung der parrhesia: die Praktiken des Wahrsprechens in bezug auf die eigene Person. – Der Lehrmeister im Horizont der Sorge um sich. – Seine Haupteigenschaft: die parrhesia. – Strukturelle Merkmale: Wahrheit, Engagement und Risiko. – Der parrhesiastische Pakt. – Parrhesia versus Rhetorik. – Die parrhesia als eigentliche Modalität des Wahrsprechens. – Kontrastierende Untersuchung zweier anderer Formen des Wahrsprechens in der antiken Kultur: Prophezeiung und Weisheit. – Heraklit und Sokrates.
Das Wahrsprechen des Fachmanns. – Gegenstand des parrhesiastischen Wahrsprechens: das ethos. – Die Zusammensetzung der vier Arten des Wahrsprechens bei Sokrates. – Das philosophische Wahrsprechen als Verbindung der Funktionen der Weisheit und der parrhesia. – Die Predigt und die Universität im Mittelalter. – Eine neue Kombinatorik der Arten des Wahrsprechens. – Die Neuordnung der vier Weisen der Veridiktion in der Moderne.
Die euripideische parrhesia: ein Privileg des hochgeborenen Bürgers. – Kritik der demokratischen parrhesia: schädlich für den Staat, gefährlich für den, der sie ausübt. – Sokrates’ politische Zurückhaltung. – Demosthenes’ Erpressung / Herausforderung. – Die Unmöglichkeit einer ethischen Differenzierung in der Demokratie: das Beispiel des Staats der Athener. – Vier Prinzipien des griechischen politischen Denkens. – Die platonische Wende. – Das aristotelische Zögern. – Das Problem des Scherbengerichts.
Die Wahrheit und der Tyrann. – Das Beispiel Hierons. – Das Beispiel Peisistratos’. – Die psyche als Ort der ethischen Differenzierung. – Rückkehr zu Platons VII. Brief. – Isokrates wendet sich an Nikokles. – Die Wandlung einer demokratischen parrhesia zu einer autokratischen parrhesia. – Die Eigentümlichkeit des philosophischen Diskurses.
Die Gefahr der Selbstvergessenheit. – Sokrates’ Ablehnung des politischen Engagements. – Solon bei Peisistratos. – Sokrates’ Dämon. – Die Lebensgefahr: Geschichte der Generäle der Schlacht bei den Arginusen und Leons von Salamis. – Das Delphische Orakel. – Sokrates’ Antwort auf das Orakel: die Prüfung und die Untersuchung. – Ziel der Mission: die Sorge der Menschen um sich selbst. – Nichtreduzierbarkeit der sokratischen Veridiktion. – Auftauchen einer ethischen parrhesia im eigentlichen Sinne. – Der Zyklus von Sokrates’ Tod als ethische Begründung der Sorge um sich selbst.
Sokrates’ letzte Worte. – Die großen klassischen Interpretationen. – Dumézils Unbehagen. – Das Leben ist keine Krankheit. – Die Lösungen von Wilamowitz und Cumont. – Kriton, geheilt von der vorherrschenden Meinung. – Die falsche Meinung als Krankheit der Seele. – Die Einwände von Kebes und Simmias gegen die Unsterblichkeit der Seele. – Die Solidarität der Seelen im Diskurs. – Rückkehr zur Sorge um sich selbst. – Sokrates’ Vermächtnis.
Etymologische Untersuchungen rund um die epimeleia. – Dumézils Methode und ihre Ausweitung. – Platons Laches: die Gründe der Wahl. – Der Pakt des Freimuts. – Das Problem der Kindererziehung. – Die gegensätzlichen Urteile von Nikias und Laches über die Vorführung von Waffen. – Die Frage nach der technischen Kompetenz im sokratischen Sinne. – Sokrates’ Umkehrung des dialektischen Spiels.
Sokrates und die vollständige und kontinuierliche Selbstprüfung. – Der bios als Gegenstand der sokratischen parrhesia. – Der Einklang von Reden und Handlungen. – Die Schlußfolgerungen des Dialogs: die schließliche Unterwerfung unter den logos.
Der Zirkel der Wahrheit und der Tapferkeit. – Vergleich zwischen dem Alkibiades und dem Laches. – Metaphysik der Seele und Ästhetik der Existenz. – Das wahre und das schöne Leben. – Der Zusammenhang zwischen Wahrsprechen und Lebensweise im Kynismus. – Die parrhesia als Hauptmerkmal des Kynikers: Texte von Epiktet, Diogenes Laertius und Lukian. – Bestimmung der Beziehung zwischen Wahrsprechen und Lebensweise: instrumentelle Funktion, Reduktionsfunktion, Beweisfunktion. – Das Leben als Theater der Wahrheit.
Vermutungen zur Nachkommenschaft des Kynismus. – Die religiöse Nachkommenschaft: die christliche Askese. – Die politische Nachkommenschaft: die Revolution als Lebensstil. – Die ästhetische Nachkommenschaft: die moderne Kunst. – Der Antiplatonismus und Antiaristotelismus der modernen Kunst.
Bibliographische Hinweise. – Zwei gegensätzliche kynische Persönlichkeiten: Demetrius und Peregrinus. – Zwei gegensätzliche Darstellungen des Kynismus: als Schwindel oder als Universale der Philosophie. – Die Beschränktheit der Lehre und die gesellschaftliche Ausbreitung des Kynismus. – Die kynische Lehre als Rüstzeug für das Leben. – Das Thema der beiden Wege. – Überlieferung der Lehre und Überlieferung der Lebensweise. – Das philosophische Heldentum. – Goethes Faust.
Das Problem des wahren Lebens. – Die vier Bedeutungen von Wahrheit: ohne Verschleierung; ohne Vermischung; geradlinig; unwandelbar. – Die vier Bedeutungen der wahren Liebe bei Platon. – Die vier Bedeutungen des wahren Lebens bei Platon. – Diogenes’ Motto: »Präge die gangbare Münze um.«
Das kynische Paradox oder der Kynismus als skandalöse Banalität der Philosophie. – Der Eklektizismus mit umgekehrter Wirkung. – Die drei Formen des Mutes zur Wahrheit. – Das Problem des philosophischen Lebens. – Traditionelle Bestandteile des philosophischen Lebens: das Gerüst des Lebens; die Sorge um sich selbst; die nützlichen Erkenntnisse; das konforme Leben. – Interpretationen der kynischen Devise: Präge die Münze um. – Die Bestimmung »Hund«. – Die beiden Entwicklungslinien des wahren Lebens: Alkibiades oder Laches.
Das unverborgene Leben: die stoische Version und die kynische Umwertung. – Das unvermischte Leben in seiner traditionellen Interpretation: Unabhängigkeit und Reinheit. – Die kynische Armut: wirklich, aktiv, unbestimmt. – Die Suche nach Entehrung. – Kynische Demütigung und christliche Demut. – Die kynische Wende des geradlinigen Lebens. Der Skandal der Tiernatur.
Die kynische Umkehrung des wahren Lebens in das andere Leben. – Das souveräne Leben im traditionellen Verständnis: der hilfreiche und vorbildliche Weise. – Das Thema des Philosophenkönigs. – Die kynische Wandlung: das Aufeinandertreffen von Diogenes und Alexander. – Lobrede auf Herakles. – Die Idee des philosophischen Aktivismus. – Der König des Spotts. – Der verborgene König.
Lektüre von Epiktets Buch über das kynische Leben (III, 22). – Die stoischen Elemente des Porträts. – Das philosophische Leben: von der überlegten Wahl zur göttlichen Berufung. – Die asketische Praxis als Prüfung. – Ethische Elemente des kynischen Auftrags: Ausdauer, Wachsamkeit, Prüfung. – Die Verantwortung der Menschheit. – Die Regierung der Welt.
Die beiden Aspekte des kynischen Lebens als souveränen Lebens: Glückseligkeit und Manifestation der Wahrheit. – Die Selbsterkenntnis als Maß, Wachsamkeit und Prüfung. – Die Verwandlung des Selbst und der Welt. – Übergang zur christlichen Askese: Ähnlichkeiten. – Unterschiede: das Jenseits und das Prinzip des Gehorsams.
Die Verwendung des Begriffs parrhesia in den ersten vorchristlichen Texten: menschliche und göttliche Modalitäten. – Die parrhesia im Neuen Testament: vertrauender Glaube und Öffnung des Herzens. – Die parrhesia bei den Kirchenvätern: die Unverschämtheit. – Entwicklung eines anti-parrhesiastischen Pols: die argwöhnische Selbsterkenntnis. – Die Wahrheit des Lebens als Bedingung für den Zugang zu einer anderen Welt."
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ERSCHEINUNGSTERMIN: 07.03.2021
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Personen für Der Mut zur Wahrheit

Paul-Michel Foucault wurde am 15. Oktober 1926 in Poitiers als Sohn einer angesehenen Arztfamilie geboren und starb am 25. Juni 1984 an den Folgen einer HIV-Infektion. Nach seiner Schulzeit in Poitiers studierte er Philosophie und Psychologie in Paris. 1952 begann seine berufliche Laufbahn als Assistent für Psychologie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Lille. 1955 war er als Lektor an der Universität Uppsala (Schweden) tätig. Nach Direktorenstellen an Instituten in Warschau und Hamburg (1958/1959) kehrte er 1960 nach Frankreich zurück, wo er bis 1966 als Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Clermont-Ferrand arbeitete. In diesem Zeitraum erschien 1961 seine Dissertationsschrift Folie et déraison. Histoire...

Paul-Michel Foucault wurde am 15. Oktober 1926 in Poitiers als Sohn einer angesehenen Arztfamilie geboren und starb am 25. Juni 1984 an den Folgen...


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