Ins Dunkel ist politisches Melodram, Tragödie und Romanze in einem: Auf zwei Zeitebenen – 1924 und 1969 – erzählt Angela Steidele darin kunstvoll vom 20. Jahrhundert, einer Epoche voller Unsicherheiten und medialer Umbrüche, die unserer Gegenwart auf erstaunliche Weise ähnelt. Was ist Fiktion, was Dokumentation – und lässt sich beides überhaupt trennen? Welche Verantwortung kommt dabei der bewusst mehrdeutigen Kunst zu?
Warum haben Sie sich für die Jahre ab 1924 und dann 1969 entschieden?
Im August 1924 kam Greta Garbo nach Berlin zur Deutschlandpremiere ihres ersten Spielfilms,
Gösta Berling. Sie könnte schon damals Marlene Dietrich sowie Erika und Klaus Mann kennengelernt haben: Vergnügt spielt der Roman durch, was wäre, wenn. Fluchtpunkt der Erzählung, von dem aus erinnert wird, ist Februar 1969: Erika Mann begegnete Greta Garbos Lebensfreundin Salka Viertel, die sie aus Los Angeles gut kannte, in Klosters wieder. Dieses historisch belegte Wiedersehen erschien mir besonders geeignet, weil es zum Ende des Prager Frühlings stattfand und mir die damalige politische Situation erlaubt, Parallelen zum Überfall Russlands auf die Ukraine anzudeuten: Der Kreml unterbindet noch jede demokratische Entwicklung in seinem Einflussgebiet, und damals wie heute wissen die – noch – demokratischen Staaten Europas nicht, wie sie sich wehren sollen.
Wie würden Sie das Berlin der 1920er Jahre beschreiben?
Demokratischer Aufbruch und Wohnungsnot, Frauen- und queere Emanzipation inmitten einer Wirtschaftskrise, Kampf gegen die Demokratie und künstlerischer Neubeginn.
Was daran erinnert Sie an die heutige Zeit?
Alles? Und: Schon mit dem Film kam die Wirklichkeit ins Wanken: Lüge und Propaganda als Wahrheit zu verkaufen, schafft nicht erst die digitale Revolution. Anders als damals hat die heutige Gesellschaft in Westdeutschland die Segnungen von 75 Jahren Demokratie erleben dürfen, in Ostdeutschland von immerhin 35. Für sie zu streiten ist ein heimliches Anliegen des Romans.
Hat das Treffen zwischen den Frauen wirklich stattgefunden?
Salka Viertel hat Erika Mann und deren letzter Lebensgefährtin Signe von Scanzoni tatsächlich im Februar 1969 eine Wohnung in Klosters verschafft, in der die beiden ihren Lebensabend verbringen wollten. Salka erhielt jeden Sommer Besuch von ihrer alten Freundin Greta Garbo. Sie und Erika Mann kannten sich nachweislich schon seit 1927. Wäre Garbo 1969 ausnahmsweise mal im Winter und nicht im Sommer gekommen ...
Wie darf man sich einen Film als Roman vorstellen?
Mit der konsequent durchgehaltenen Erzählhaltung »Wir sitzen im Dunkeln. Auf der Leinwand sehen wir« – den Film, den der Roman dann erzählt, und zwar mit Hilfe des literarisch adaptierten, filmischen Werkzeugkastens: mit Kamerafahrten, Totalen, Nahaufnahmen, mit Rückblenden und Parallelmontagen, mit Match Cuts und akustischen Klammern, wobei, ganz wichtig, diese technischen Begriffe nie fallen. Kinoerfahren, wie wir alle sind, ›sehen‹ wir sozusagen, was wir ›lesen‹.
Wir?
Bei der Konzeption des erzählenden »Wir« hatte ich zunächst große Skrupel. Ich denke es mir als ein heutiges Publikum, das zusammen einen Film sieht, etwa an denselben Stellen lacht oder sich wundert und sich hinterher so ungefähr darauf einigen könnte, was man da gesehen hat. Aber darf man heute überhaupt »wir« sagen? Ist es nicht anmaßend? Angesichts der antidemokratischen Kräfte, die unsere liberale Gesellschaft spalten wollen, habe ich dennoch Mut zu diesem »Wir« gefasst, um das Gemeinsame zwischen uns Menschen zu betonen, das uns doch alle viel mehr eint als das, was uns trennt. Lachen zum Beispiel.