»Ins Dunkel« von Angela Steidele: historische Hintergründe zum Roman
Eine Liebeserklärung ans Kino
Mit Angela Steideles Roman tauchen wir ins Dunkel des Kinosaals ein, in die Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts – und in das Leben zweier Schauspiel-Ikonen: Greta Garbo und Marlene Dietrich.
Thomas Manns »Zauberberg« feministisch gekontert
Wir sitzen im Dunkeln. Auf der Leinwand treffen sich Greta Garbo und Erika Mann 1969 in einem Schweizer Bergdorf und erinnern sich. An die Roaring Twenties und die Berliner Bohème, die in den Nachtclubs mit allen Konventionen brach. An eine Zeit, in der die Deutschen Hollywood und ganz Amerika durcheinanderwirbelten. Als der Film seine größten Erfolge feierte und in der Traumfabrik ein Streifen nach dem nächsten produziert wurde. Als der Ton- den Stummfilm ablöste und als Erika Mann mit ihrem antifaschistischem Kabarett Die Pfeffermühle das Publikum begeisterte, während die ganze Welt ins Dunkel glitt. An die Zensur nach 1933, auch in den Vereinigten Staaten. Und wie gut kannten sich eigentlich Greta Garbo und Marlene Dietrich? Wer traute sich mehr auf der Leinwand? Und im Leben?
IN DEN HAUPTROLLEN
Greta Garbo wurde 1905 als Greta Lovisa Gustafsson in Stockholm geboren und starb 1990 in New York. Sie wurde vom American Film Institute 1999 in seiner Liste der 25 größten weiblichen Leinwandlegenden aller Zeiten auf Platz 5 gewählt. 1955 wurde sie mit einem Ehrenoscar ausgezeichnet.
Marlene Dietrich wurde 1901 in Berlin geboren und starb 1992 in Paris. Sie ist eine der wenigen deutschsprachigen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, die auch international Ruhm erlangten. Sie weigerte sich, die nationalsozialistische Propaganda zu unterstützen, und nahm 1939 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1947 wurde ihr für ihr antifaschistisches Engagement die Freiheitsmedaille verliehen.
Erika Mann wurde 1905 in München als Tochter von Katia und Thomas Mann geboren und starb 1969 in Zürich. Sie war Schauspielerin, Kabarettistin, Schriftstellerin und Lektorin und gründete 1933 das politische Kabarett Die Pfeffermühle. Sie emigrierte 1933 erst in die Schweiz und 1936 in die USA und engagierte sich gegen den Nationalsozialismus.
DIE AUTORIN ÜBER IHREN ROMAN
»Am Anfang stand eine Obsession: Greta Garbo in Queen Christina, einem Film von 1933, der auch heute noch staunen lässt: eine Königin in Männerkleidern, die statt Krieg Künste und Wissenschaften fördert und ihre Hofdame auf den Mund küsst. Hollywood meets Weimar. Wen alte Schwarzweißfilme faszinieren, der verliebt sich bald auch in Marlene Dietrich. Und in die oft gestellte, nie befriedigend beantwortete Frage, ob die beiden sich eigentlich persönlich kannten. Schließlich haben Garbo und Dietrich gemeinsam ihre Zeit verändert: haben den Frauen die Hosen erobert und – zumindest auf der Leinwand – die Freiheit in der Liebe. Heute würden wir sie als Influencerinnen von unermesslicher Reichweite bezeichnen. Und nicht zuletzt teilten sie sich jahrelang eine Geliebte, Mercedes de Acosta, und spannten sich gegenseitig die Liebhaber aus.
Was als Screwball-Komödie mit dem Arbeitstitel Greta & Marlene begann, erwuchs mir beim Schreiben zu einem politischen Melodram des 20. Jahrhunderts, dem unsere Zeiten immer bedrohlicher ähneln: Ins Dunkel. Denn schon der frühe Film, nicht erst das Internet und die Sozialen Medien, verunsicherte im Publikum die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Was ist Fiktion, was Dokumentation? Lässt sich da überhaupt sauber trennen? Und welche Verantwortung kommt hier der bewusst mehrdeutigen Kunst zu, etwa der Literatur? Antifaschistische und queere Klassiker der Filmgeschichte wie Charlie Chaplins Der große Diktator, Ernst Lubitschs Sein oder nicht Sein oder Billy Wilders Manche mögen’s heiß haben gezeigt, wie es gehen kann. Denn das Herz einer wahren Komödie schlägt immer auf der richtigen Seite. Das künstlerische und zugleich politische Mittel der Wahl ist, gerade im Dunkeln, der Humor.« – Angela Steidele
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Klosters, 1969: Zu Beginn des Romans sind Greta Garbo und Erika Mann beide 63 Jahre alt, Signe von Scanzoni ist 53, Salka Viertel 79. Marlene Dietrich, 67, tourt immer noch mit ihren Chansons durch die ganze Welt. Das fiktive Handlungsgeschehen in Klosters beruht auf folgenden, historisch belegten Fakten:
Salka Viertel (1889–1978) lebte seit 1960 in einer Etagenwohnung im Haus Fliana in der Doggilochstraße 20 in Klosters. Im selben Jahr kam ihre alte Freundin Greta Garbo (1905–1990) zu Besuch – um fortan Jahr für Jahr im Sommer für mehrere Monate wiederzukehren, meist von Juli bis Ende September. In der unprätentiösen Chött in der Doggilochstraße 9 mietete sie ganzjährig eine Wohnung an. Ihren Scheck löste ihr Vermieter wohl selten ein, weil ihre Unterschrift – Greta Garbo gab nie Autogramme – mehr wert als die Miete war.
Salka Viertel (1889–1978) lebte seit 1960 in einer Etagenwohnung im Haus Fliana in der Doggilochstraße 20 in Klosters. Im selben Jahr kam ihre alte Freundin Greta Garbo (1905–1990) zu Besuch – um fortan Jahr für Jahr im Sommer für mehrere Monate wiederzukehren, meist von Juli bis Ende September. In der unprätentiösen Chött in der Doggilochstraße 9 mietete sie ganzjährig eine Wohnung an. Ihren Scheck löste ihr Vermieter wohl selten ein, weil ihre Unterschrift – Greta Garbo gab nie Autogramme – mehr wert als die Miete war.
Am 2. Februar 1969 trafen Signe von Scanzoni (1915–2002) und Erika Mann (1905–1969) in deren weißen Ford Mustang in Klosters ein, wo Salka Viertel eine Wohnung für sie gefunden hatte, die sie für ihren gemeinsamen Lebensabend einrichten wollten – ihr sogenanntes »Niemandshaus«. Über vier Wochen wohnten sie vermutlich im Hotel Pardenn, weil Erika im Jahr zuvor bei einem Aufenthalt mit ihrer Mutter in Klosters mit dem Hotel Vereina nicht zufrieden war.
Während dieses Aufenthalts 1969 besuchte Erika Mann zum ersten Mal das Waldsanatorium in Davos, in dem ihre Mutter Katia 1912 und Signe von Scanzoni 1941 gekurt hatten und das als Berghof im Zauberberg in die Weltliteratur einging. In Klosters litt Erika Mann unter starken Kopfschmerzen. Am 6. März reisten sie und Signe wieder ab. Im Kantonsspital Zürich wurde Erika am 16. April 1969 ein Hirntumor entfernt.
Salka Viertels Memoiren The kindness of strangers erschienen einen Tag später, am 17. April 1969. Zur Buchpremiere reiste Salka nach New York.
An Erika Manns Krankenbett fanden sich alle früheren Gefährtinnen ein, Pamela Wedekind genauso wie Therese Giehse. Signe von Scanzoni, die eigentlich in Ehrwald/Tirol lebte, quartierte sich in der Nachbarschaft des Kantonsspitals ein und pflegte ihr »Muckerl«, von der Station als Ansprechpartnerin geschätzt, von Erikas Mutter Katia befremdet wahrgenommen. Nach monatelanger Qual starb Erika Mann am 27. August 1969. Signe regelte die Bestattung in Thomas Manns Grab. Katia verabschiedete sich von ihrer Tochter mit den Worten: »Du hast es geschafft, Du liegst dazwischen.« Signe warf das »Niemandshaus«, das sie im Krankenhaus aus Schere und Papier gebastelt hatte, auf Erikas Sarg.
Zur Trauerbewältigung schrieb Signe von Scanzoni ein Buch über Erika Manns letztes Lebensjahr, in das sie »die Geschichte einer Passion und eines Irrtums« (S. 231) hineinverwob, sprich die Geschichte ihrer nicht unkomplizierten Liebe zueinander. 1972 reiste sie nach Los Angeles, wo sie auch Salkas Sohn Thomas Viertel und seine Familie besuchte. Signe las Salkas Memoiren im englischen Original mit großem Interesse. 1970 erschien eine deutsche Fassung, von Salka nicht übersetzt, aber sprachlich betreut und überarbeitet.
Signe besuchte Salka hin und wieder und hielt noch bis mindestens 1973 Kontakt mit ihr (die Briefe befinden sich heute im Literaturarchiv Marbach). Obwohl von Salka ermutigt, gab Signe die Arbeit an ihrem Buch über sich und Erika auf: Sie glaubte nicht an eine Publikationsmöglichkeit. Und ihr fehlte der Mut für ein öffentliches Coming-out. Gegenüber Erika Manns Biographin Irmela von der Lühe stritt Scanzoni ab, dieses Buch je geschrieben zu haben. Von der Lühe spürte das Manuskript später in Scanzonis Nachlass dennoch auf und veröffentlichte es unter dem Titel Als ich noch lebte. Ein Bericht über Erika Mann.
Greta Garbo besuchte Salka Viertel weiterhin Sommer für Sommer, auch als Salka dement wurde. Nach Salkas Tod 1978 gab Garbo ihre Wohnung auf, nicht aber die ausgedehnten Aufenthalte in Klosters, wo sie nun bis zu ihrem eigenen letzten Sommer 1989 im Hotel Pardenn logierte, das 2011 ersatzlos abgerissen wurde. Derzeit erstreckt sich auf dem Gelände an der Monbieler Straße noch eine Wiese in Hanglage. Die Häuser in der Doggilochstraße 20 und 9 stehen noch unverändert.
DER SOUNDTRACK ZUM BUCH
ÜBER DIE AUTORIN
Angela Steidele LIVE
Verlagsveranstaltung
Veranstalter: Suhrkamp Verlag, Literarisches Colloquium Berlin
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Wir feiern »Sommerfest: 75 Jahre Suhrkamp«Veranstalter: Suhrkamp Verlag, Literarisches Colloquium Berlin
Buchpremiere
Moderation: Thorsten Dönges
Veranstalter: Literaturhaus Köln, Filmhaus
Angela Steidele
Lesung aus Ins DunkelModeration: Thorsten Dönges
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Buchpremiere
Veranstalter: Kino in den Hackeschen Höfen, Georg-Büchner-Buchladen, Suhrkamp Verlag
Im Anschluss wird der Film...
Angela Steidele
Buchpremiere von Ins DunkelVeranstalter: Kino in den Hackeschen Höfen, Georg-Büchner-Buchladen, Suhrkamp Verlag
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Lesung
Moderation: Beate Scherzer
Veranstalter: Literarische Gesellschaft Ruhr e.V.
Angela Steidele
Lesung aus Ins DunkelModeration: Beate Scherzer
Veranstalter: Literarische Gesellschaft Ruhr e.V.
WATCHLIST: AUSGEWÄHLTE TRAILER DER FILME MIT GRETA GARBO UND MARLENE DIETRICH
STIMMEN ZUM BUCH
Leserstimme verfassen
»Ins Dunkel heißt der glamouröse und hochpolitische Roman, in dem Angela Steidele der Leserschaft großes Kino bietet. ... Nach der Lektüre fällt eine Spannung ab, man möchte aufstehen und aus dem Dunkeln des Kinos wieder ins Helle der Außenwelt treten. Erst da dämmert es, dass man ja ein Buch gelesen hatte.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Ins Dunkel ist ein buchstäblich vielstimmiger Roman. Fast möchte man sagen: Ein Film für die ganze Familie. Bestens ausgeleuchtet. Reich an Perspektiven. Sorgfältig geschnitten. Mit einer Vorliebe für Nahaufnahmen. Dazu ein starker Fokus auf die Aktualität.«
Martin Oehlen, Frankfurter Rundschau
»In Angela Steideles Werken darf gelacht und gedacht werden.«
Denis Scheck
»[Angela Steidele schreibt] großartige Romane über ebenso großartige historische Frauen.«
Deutschlandfunk Kultur
»Ich möchte mit Nachdruck behaupten: Das ist großes literarisches Kino. ... [Ein] brillanter biografischer Roman.«
Denis Scheck, WDR 3
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