Manon Garcia, was bedeutet »Consent«? | Consent kurz erklärt

Consent ist längst mehr als ein juristischer Begriff: Er ist Kernfrage persönlicher Integrität, sexueller Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Gleichstellung. Im Gespräch erklärt die Philosophin Manon Garcia — Autorin von Das Gespräch der Geschlechter. Eine Philosophie der Zustimmung und Mit Männern leben. Überlegungen zum Pelicot‑Prozess — warum »Consent« nicht einfach eine Checkliste ist, sondern stets im Kontext von Macht, Sozialisation und Geschlechterverhältnissen gedacht werden muss. Garcia erklärt, welche Erkenntnisse sie aus dem Gerichtsverfahren um Gisèle Pelicot zieht, analysiert verbreitete Mythen über Sexualität und zeigt, warum frühzeitige Bildungsarbeit entscheidend ist, damit Zustimmung wirklich möglich wird.

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Manon Carcia im Interview

Was verstehen Sie unter »Consent« im sexuellen Kontext, und warum ist er so zentral für respektvolle Beziehungen?

Ich glaube, wir sollten zuerst kurz darüber sprechen, wie wir das übersetzen wollen. Ich habe das Buch ursprünglich auf Französisch geschrieben und dann ins Englische übersetzt. Das Problem ist, dass es im Deutschen keine exakte Entsprechung gibt. Übersetzungen verwenden oft »Zustimmung« oder »Einvernehmlichkeit«, aber in den letzten Jahren ist es immer gebräuchlicher geworden, einfach das Wort »Consent« zu verwenden. Ich möchte deshalb in der Diskussion direkt von »Consent« sprechen. Für mich ist wichtig: Der Begriff spiegelt einerseits wider, dass sich unsere Vorstellungen von Sexualität verändert haben — dass wir inzwischen meinen, eine sexuelle Beziehung sei dann zulässig, wenn die Beteiligten ihr zugestimmt haben. Andererseits trägt der Begriff aber auch sexistische Vorstellungen in sich. Bei »Zustimmung« etwa haben wir oft die Vorstellung, es handle sich um ein Akzeptieren und nicht um eine wirkliche Wahl — das klassische Modell, in dem Männer etwas vorschlagen und Frauen entweder annehmen oder ablehnen. Es steckt auch die Vorstellung darin, dass bei Männern Sex und Vergewaltigung irgendwie dasselbe seien und der Unterschied allein in der Reaktion der Frau läge. Meine Absicht war, eine philosophische Analyse zu entwickeln, die die positiven Aspekte des Konzepts bewahrt, zugleich aber seine problematischen Seiten identifiziert, um so eine emanzipatorische Theorie zu formulieren.


Wie beeinflussen Machtverhältnisse – innerhalb von Beziehungen oder zwischen Geschlechtern – die Möglichkeit echten Consents? 

Wenn du mit James‑Bond‑Filmen oder Indiana‑Jones‑Filmen aufgewachsen bist, hast du diese Figuren gesehen, die Frauen gegen die Wand drücken, sie küssen, die Frau sagt »Nein, James, nein« und am Ende ist sie froh, weil er sie doch erobert hat. Solche Geschlechter‑Stereotype prägen unser Verhältnis zu Geschlechtsrollen: Männer gelten als aktiv, aggressiv; Frauen sollen passiv sein und am Ende doch erobert werden wollen. Das beeinflusst, ob wir überhaupt in der Lage sind, unsere Sexualität als freie Wahl zu erleben. In meinem ersten Buch ging es um Unterwerfung; dort zeigte ich, dass die zentrale gesellschaftliche Norm für Frauen eine Norm der Unterordnung ist. Weiblichkeit wird oft mit Unterordnung gleichgesetzt: Frauen werden so sozialisiert, dass sie nett sein, lächeln, zustimmen, auf die Gefühle anderer Rücksicht nehmen sollen. Wenn das dein ganzes Leben prägt, was bedeutet das fürs Sexuelle? Kannst du wirklich die Art von Sex wählen, die du willst, oder bist du so sehr daran gewöhnt, das zu tun, was dir vorgeschlagen wird, dass du gar nicht weißt, was du willst?

In Ihrem Buch Mit Männern leben analysieren Sie – anhand des Prozesses um Gisèle Pelicot – wie Gerichte und Ermittler mit Fragen von Zustimmung umgehen. Welche Lehren ziehen Sie daraus für den Umgang der Gesellschaft mit sexueller Gewalt und Consent?

In der Gesellschaft bestehen Mythen über Sexualität, die unser Denken und Handeln prägen. In meinem Buch nenne ich drei zentrale Mythen: Erstens die Vorstellung, Männer wollten immer Sex; zweitens die Vorstellung, Frauen wollten eigentlich keine Sexualität, sondern Liebe; und drittens die Idee, Sex sei heterosexuelle Penetration mit männlichem körperlichem Orgasmus als Endpunkt.
Diese Mythen sind falsch: Männer wollen nicht immer Sex, Frauen wollen sehr wohl Sex, und es gibt viele andere Formen von Sexualität. Selbst die penetrative Norm befriedigt viele Frauen physiologisch nicht – das zeigen Sexologie und Studien. All das prägt, wie wir Sexualität denken und handeln, und das ist problematisch. Im Pelicot‑Prozess behaupteten einige der Angeklagten, sie hätten angenommen, Dominique Pelicot habe die Zustimmung seiner Frau eingeholt. Was auffiel: Richter und Staatsanwälte arbeiteten mit einer sehr fortschrittlichen, feministisch geprägten Definition von Zustimmung – meine Arbeit wurde auch zitiert. Die Angeklagten und deren Anwälte hingegen vertraten Vorstellungen, die man kaum noch für zeitgemäß halten würde. Einer sagte etwa: Es sei sein Haus, sein Zimmer, sein Bett, seine Frau – also in der Logik, er »besitze« seine Frau wie sein Eigentum. Daraus folgte, so ihre Argumentation, dass Taten, die mit Zustimmung des »Eigentümers« geschehen, keine Vergewaltigung seien. Diese Denkweise zeigt, wie tief patriarchale Vorstellungen sitzen. Historisch gab es ja lange Regeln, nach denen verheiratete Frauen rechtlich dem Mann unterstanden – kein eigenes Konto, keine eigenständigen Entscheidungen. Das mag juristisch überwunden sein; ideologisch wirkt das aber weiter. Gleichzeitig muss man aber sehen, dass diese Männer wussten, dass ihr Tun verboten war; sofort, wenn sich das Opfer nur minimal bewegte, flohen sie vor der Kamera – sie wussten also sehr wohl, dass sie keine wirkliche Zustimmung hatten.

Welche Rolle spielt Bildung und Sexualerziehung in der Vermittlung eines Verständnisses von Consent schon im Kindesalter?

Ich halte die Erziehung zum Consent für extrem wichtig – nicht nur für Sexualität, sondern ganz allgemein fürs Zusammenleben. Als ich aufwuchs, war es normal, dass die Freunde der Eltern dich küssten, auch wenn du das widerlich fandest, und dass Großeltern einfach übergriffig wurden. Das vermittelt Kindern das Gefühl, ihr Körper gehöre nicht ihnen. Jetzt beobachte ich bei meinen eigenen Kindern anderes: Sie sagen mir, »Mama, du hast mich geküsst, aber du hast nicht vorher gefragt« – und das wird dann als klar verboten markiert. In Kitas lernen Kinder Gesten: wie man auf Abstand geht, wie man »Stopp« sagt, und dass man dann wirklich aufhört. Das stärkt das Bewusstsein, dass dein Körper dir gehört und du wählen kannst, was mit ihm geschieht. Das ist der erste Schritt für alles Weitere.
Manon Garcia, geboren 1985, ist nach Stationen in Harvard und Yale Professorin für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin. In Frankreich zählt sie zu den einflussreichsten und meistgelesenen Philosophinnen ihrer Generation. Ihre Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für Das Gespräch der Geschlechter. Eine Philosophie der Zustimmung erhielt sie 2022 den Prix des Rencontres philosophiques de Monaco.
Manon Garcia, geboren 1985, ist nach Stationen in Harvard und Yale Professorin für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin....

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