Daniela Seels Nach Eden und Serhij Zhadans Chronik des eigenen Atmes gehören zu den Lyrik-Empfehlungen des Jahres 2025.
In der Empfehlung zu Nach Eden schreibt Autorin und Übersetzterin Marie Luise Knott: »Endlich ist er da, der neue Band von Daniela Seel – ein Langgedicht, das drängende Themen unserer Zeit ins Bild setzt: Bedrohung der Artenvielfalt, Mutterschaft, die Gefährdung des Planeten, die Schönheit des Hierseins und die eigenen existenziellen Zweifel. In Anlehnung an Immanuel Kant sieht Seel Evas ›Vertreibung‹ als einen Auszug: ›Der Ausgang des Menschen in die Zeit.‹ Und in die Verantwortung. Viele Texte im Band sind Anrufungen: ›Sing mir, Walgesicht, von beinahe lichtlos / dich nährenden Tiefseegärten, vom Atem / in deinen Adern, vom Mikroplastik, wieg mich / in deinem uralten Wachen.‹ Bildmächtig, konkret und vieltönend zugleich verbindet der Klang hier, was der Kopf oft scheidet. Gedanken, Geschichten und Stimmen kommen und gehen, wie der Atem, das Maß unserer Zeit. Recherchen zum NS-Kindermord mischen sich hinein, auch Erfahrungen von Fehlgeburten, Fetzen von Kindergesprächen. Nach Eden ist durchtränkt von einem irdischen Durst. Das macht seinen großen Zauber aus.«
Lyrikerin, Übersetzerin und Literaturkritikerin Ilma Rakusa empfiehlt Chronik des eigenen Atems. 50 und 1 Gedicht von Serhij Zhadan in der Übersetzung von Claudia Dathe: »Seit Frühjahr 2024 dient der bekannte ukrainische Lyriker in der 13. Brigade der ukrainischen Nationalgarde, wo er für militärisch-zivile Kommunikation zuständig ist; sein Gedichtband Chronik des eigenen Atems entstand zwischen dem 8. August 2021 und dem 4. Juni 2023. Kriegsgedichte? Nicht wirklich. Im Nachwort nennt Zhadan den Band eine ›private, fragmentarische Chronik (…) voller Schnee, Gesang, Orthografie und Liebe‹. Tatsächlich erstaunt, wie zart, ja zärtlich viele Gedichte sind, ohne Drastik, Wut und Hass. Da und dort finden sich atmosphärisch dichte Schilderungen eines ›Armeealltags‹; an anderer Stelle erinnert Zhadan in einem ergreifenden Memento an die ukrainischen Dichter, Schauspieler, Priester und Wissenschaftler, die in den 1930er-Jahren durch Stalins Schergen erschossen wurden. Oft aber spricht er über die Natur, den Atem, die Sprache (›Sprache des Zweifels, Sprache der Freude, Sprache des Dankes‹), in jenem suggestiv-melodiösen Ton, der den hypnotischen Sound seiner Lyrik ausmacht und der ihm trotz der Schrecken des Krieges nicht abhandengekommen ist.«
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die Stiftung Lyrik Kabinett, das Haus für Poesie und der Deutsche Literaturfonds geben in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bibliotheksverband einmal jährlich eine Empfehlungsliste von Lyrik-Neuerscheinungen heraus. Die Jurymitglieder wählen deutschsprachige und ins Deutsche übersetzte Gedichtbände aus, die sie für besonders empfehlenswert halten. Die ausgewählten Gedichtbände werden zum Welttag der Poesie am 21. März in über 350 Buchhandlungen und Bibliotheken bundesweit präsentiert.