In Aufkommender Atem konzentriert sich Christian Lehnert, ein Meister der strengen kleinen wie auch der größeren epischen Gedichtform, auf kürzere, sehr einheitlich gefügte Gedichte. Um Naturbilder, häufig der näheren brandenburgischen und sächsischen Heimat, voller akustischer und optischer Eindrücke, aber doch eigentümlich still und auf mystische Weise offen für eine weit mehr als naturalistische Erfahrung: Nicht statisch ist sie, sondern auch ein Raum für Frage, Ahnung und...
In Aufkommender Atem konzentriert sich Christian Lehnert, ein Meister der strengen kleinen wie auch der größeren epischen Gedichtform, auf kürzere, sehr einheitlich gefügte Gedichte. Um Naturbilder, häufig der näheren brandenburgischen und sächsischen Heimat, voller akustischer und optischer Eindrücke, aber doch eigentümlich still und auf mystische Weise offen für eine weit mehr als naturalistische Erfahrung: Nicht statisch ist sie, sondern auch ein Raum für Frage, Ahnung und Hoffnung. Und so erwacht aus der präzisen Anschauung jener pfingstliche Wind, der seit jeher Verheißung bedeutet und ein neues Verständnis aller Dinge, einen ‚anderen Zustand’ mit sich bringt.
»Das Blasse mein ich, das im Licht verschwindet,
in Wachschlaf fällt, und eingehüllt, vergessen
am Grund liegt, wartet, weil ein Fisch sich windet,
weil Krebse wachsen und sich stumm zerfressen,
weil langsam eine warme Sandform bricht,
das Wartende aus Tod und Leben, weich
und sprachlos, wie es von dem Anfang spricht
und daß ein Atemzug für immer reicht.«
19. Januar 2009
Vorfrühling
Ich hab geschlafen, ich war wach
In mich hinein sieht eine klare Nacht
Vögel diese Vögel, ohne Halten
Aufkommender Atem
Und was ich glaube, ist ganz unverstanden
Dort liegen meine Hände auf der Bank
Du sprichst noch, Wasser, sprichst noch
So unbifestigt sind die vielen Zeichen
Zuletzt im Frost, da sind die Blätter klar
Hier bei den Kerzen denk ich diesen Stillstand
Wie ein Papier im Licht, das ohne Zeichen
Die losen Fäden, die sich um mich legen
Umgifallen, auf der Seite kriechend
Das Blasse mein ich, das im Licht verschwindet
Als schliifen Steine aus von ihrem Lauschen
Die Bäume stehen dicht und ausgehungert
Die Birken warten noch, bereiten sich
Zu ungewisser, zu der neunten Stunde
Ich folge Lichtenz, tröstliches Abteil
Die stete Stimme, die die Tage zählt
»Ich lebe, doch nicht ich«, es geht ein Atem
Wer mochte fortfahrn, wer das abgebrannte
Was alles noch vergaß ich? Daß die Krähen
Verwoben, seltsam ineinander, Hauch
Relief in einer Bruchsteinwand, ein Kiefer
Und Heimat? Laß die Kabelrollen liegen!
Das Erdreich, unverändert seit November
Was ist verflogen? Ich erkenn nichts wieder
Die Füchse liifen lange in die Stadt
Du bist mein Schlaf und meine späte Stunde
Ganz plötzlich Schnee, ein Marmorepigraph
Jetzt sei es an der Zeit, was vor mir liegt
Sie schläft, ihr Köpfchen hat noch keine Dauer
Woraus erfährt man denn die Herkunft? Schrift
Die Höfe dunkeln mit den Atemzügen
Den Tag durchziehen unbekannte Fährten
Die Katzen haschen nach dem Ahornblatt
Der Tag ist still und wartet auf dein Kommen
Die Fledermäuse überm Wald durchstjJen
Die Wolken schieben sich heran wie Gletscher
Doch, daß der Augenschein nicht stimmt, daß jeder
Sie atmet leise, kleiner Kehlkopf zuckt
Wir warten, dämmern, sind fast taub: Der Wind
Der schwarze Sand verrinnt. Die schwarzen Burgen
Die Hirten hüten Schatten, hüten Spuren
Ein schwarzer Strudel, dessen Maß noch fehlt
Wenn auf Asphalt der Nieseiregen dampft
Nur wie ein Schaumkranz zwischen Möwenkrallen
Ein heißer Atem kommt von Süden, dringt
Das Flugzeug atmet über blauen Decken
Die Katze strauchelt, fällt. Ein langer Abend
Nun ist es Zeit. Am Morgen das Gefühl
Woran soll ich mich halten in der Fülle
Es folgen Krähen meinen schnellen Tagen
Die Bänke bilden einen Korridor
Aus Wellen Sand, aus schwarzem Sand im Dunkel
Jetzt, angesichts des Eisens auf der Hand
Mich schlägt in diese Zeit ein kurzer Ton
Gott sei in mir? Ein reines, leeres Feld
Du bist die Aussicht und du bist das Auge
Die Walm lag auf einem Balken Holz
Ich sammle Spuren, über weite Strecken
Der Nlfbaum, dralfßen, ist erinnert, Nebel
Die Starefliegen nicht mehr in den Süden
Du bist der Wald, der Tiefdruckhimmel, tropfst
Es ist jetzt alles weit und zittert, Mund
Was hid am Abend Angekommensein?
Geburt des Dunkels, wie ein Mottenkind
Trost (Moments musicaux)
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstraße 44
10119 Berlin
info@suhrkamp.de
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Personen für Aufkommender Atem
Christian Lehnert
Christian Lehnert, geboren 1969 in Dresden, ist Dichter und Theologe. Er leitet das Liturgiewissenschaftliche Institut an der Universität Leipzig. Seit mehr als 25 Jahren erscheinen im Suhrkamp Verlag Gedichtbücher und Prosabände, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, zuletzt mit dem Deutschen Preis für Nature Writing (2018).
Christian Lehnert, geboren 1969 in Dresden, ist Dichter und Theologe. Er leitet das Liturgiewissenschaftliche Institut an der Universität...

