Die Immunität der Klassik
Die deutsche Klassik konstituiert sich auf der Schwelle zum 19. Jahrhundert: Mit den Programmen einer »tragischen Impfung« und der Entsagung als »Affektprophylaxe« proben Schiller und Goethe die Abwehr hypertropher Gefühlswelten. Dabei bewegen sich ihre Modelle auf der Höhe der zeitgenössischen Debatten um die Impfung, die Luhmann als Symptom für die Herausbildung sozialer Immunsysteme, Foucault als Übergang zur biopolitischen Moderne sieht. Tatsächlich entwerfen Schillers Dramen des...
Die deutsche Klassik konstituiert sich auf der Schwelle zum 19. Jahrhundert: Mit den Programmen einer »tragischen Impfung« und der Entsagung als »Affektprophylaxe« proben Schiller und Goethe die Abwehr hypertropher Gefühlswelten. Dabei bewegen sich ihre Modelle auf der Höhe der zeitgenössischen Debatten um die Impfung, die Luhmann als Symptom für die Herausbildung sozialer Immunsysteme, Foucault als Übergang zur biopolitischen Moderne sieht. Tatsächlich entwerfen Schillers Dramen des Erhabenen und Goethes Entsagungsnarrative Szenarien der problematischen Sicherung politischer Gemeinschaften. Cornelia Zumbuschs Studie beschreibt die Immunisierungsphantasien der Klassik deshalb als Schauplatz ästhetischer und politischer Umbrüche, in denen sich gerade ihre Modernität zeigt. Eine faszinierende neue Sicht auf eine der großen Epochen der europäischen Literatur- und Kulturgeschichte.
Erstes Kapitel
Übertragungen zwischen Medizin, Moral und Ästhetik
Affektprophylaxe: Immunität als ethisches Ideal
Seuchenprävention: Politisches Projekt und ethisches Problem
Kommunizierte Krankheiten: Metaphern für Ansteckung und Immunität
Mitgeteilte Gefühle: Von der Sympathie zur Apathie (Shaftesbury bis Kant)
Scheintod der Niobiden: Winckelmanns ungerührte Antike
Philomeles sprechender Schmerz: Der ästhetische Nutzen des Schadens (Moritz)
Zweites Kapitel
Inokulation des Schicksals, Immunität der Kunst (Schiller)
Erhabene Impfung, schöne Indifferenz und naive Unempfindlichkeit
Krise, Klärung, Katharsis: Impfung mit dem Pathetischen
Immunisierung der Kunst: Indifferenz im Schönen
Naive Unempfindlichkeit, sentimentalische Desensibilisierung
Beschleunigt: Der Heldentod als Katastrophe
Impfung: Carlos’ Krankheit und Posas Kur
Kälte durch Hitze: Carlos’ Läuterung
Nachspiel: Opfern und Geopfertwerden
Geläutert: Opfer und Katharsis (Die Jungfrau von Orleans)
»Himmlische Gewalt«: Zeugen, Rühren, Wenden
Die Ambivalenz der Immunisierung: »den Tod verbreiten …«
»… und sein Opfer sein zuletzt«: Die Jungfrau als Figur der Katharsis
Selbst bereitetes Übel (Die Braut von Messina)
Fatale Familienverhältnisse: Die feindlichen Brüder
Fremdkörper und reine Rede: Schillers Verteidigung des Chors
Fließendes Blut und gestähltes Herz: Der Widerstand des Chors
Drittes Kapitel
Reinlichkeit des Daseins und unreine Form (Goethe)
Reinheit, Entsagung und poetische Inokulation
Reinheit, Ruhe und Entsagung: Goethe und Spinoza
Das klassische Kunstprogramm: Mäßigung der Affekte und Maß der Schönheit
Trübes Medium, sentimentale Stimmung: Techniken der Kontamination
Wilhelm Meisters »Entwicklungskrankheit«
Verletzen und Verbinden: Motiv und Verfahren
Wilhelms Impfung: Heilung des Irrtums durch Irrtum
Theater/Exequien: infektiöse und immune Kunst
Nachlese: Reine und unreine Formen
Schutzerzählungen: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
Das Erzählprogramm: Vermeidung politischer Affekte
Die Erzählungen: Sensibilisierung und ethische Gymnastik
Das erquickliche Gespräch: Tödlicher Kontakt und geschützte Kommunikation
Unselige Vorsicht? Die Wahlverwandtschaften
Vorgriffe: Impfen, Pfropfen, Zeugen
Ausbreitung des Übels: Affekte und Infekte
Charlottes Sorge: Schutz und Entsagung
Schulden: Die Inflation des Tragischen
Ottilies Abwehr: Immunität und Ironie
Das Ende des immunitären Projekts
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