»Reichskanzlerplatz« von Nora Bossong: historische Hintergründe zum Roman
Reichskanzlerplatz : der SPIEGEL-Bestseller von Nora Bossong
Angelehnt an eine wahre Begebenheit zeichnet Nora Bossong in ihrem lang erwarteten neuen Buch Reichskanzlerplatz das intensive Porträt der Frau, die Magda Goebbels wurde – erzählt aus der Perspektive ihres jungen Liebhabers Hans: ein Roman über zwei Menschen in der Maschinerie der historischen Ereignisse zwischen 1919 und 1944, unterschiedlich verstrickt, unterschiedlich schuldig geworden. Auch an sich selbst.
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2024
STIMMEN ZUM BUCH
»Ein furchtloser Roman über Mittäterschaft und darüber, wie aus dem kleinen Bösen das große Böse wächst. Kann man denn über das ›Dritte Reich‹ erzählen? Die Frage wird oft gestellt, nicht zu Unrecht. Nora Bossong beantwortet sie mit diesem großartigen Buch, indem sie es tut – vielschichtig, besonnen und erbarmungslos.«
BLICK AUFS BUCH
DIE AUTORIN IM GESPRÄCH
Man kennt Magda Goebbels als Vorzeigemutter des sogenannten »Dritten Reichs«, als eine Frau, die eine entscheidende Rolle in der Propagandamaschine des NS-Regimes gespielt hat. Auch von ihren letzten Stunden, dem Mord an sechs ihrer Kinder im Führerbunker, wissen die meisten. Dass diese Frau eine abgrundtiefe Fanatikerin war, ist offensichtlich. Doch wenn man in ihrer Lebensgeschichte zurück geht, werden auch Widersprüche deutlich – einige sind so groß, dass man sich fragt, wie aus der jungen Magda Friedländer, Stieftochter eines jüdischen Kaufmanns, verliebt in den Bruder einer jüdischen Schulfreundin, eine überzeugte Nationalsozialistin werden konnte. Ihr Weg war nicht vorgezeichnet, sie hat sich immer wieder selbst entschieden, noch tiefer in die NS-Ideologie hineinzugehen und das, was sie sogar in ihrer eigenen Biografie davor hätte bewahren können, von sich zu stoßen.
Wie haben Sie die Balance zwischen historischen Fakten und erzählerischer Freiheit gefunden, um die Geschichte von Hans Kesselbach und Magda Goebbels zu erzählen?
Gerade für erzählerische Freiräume ist gute Faktenkenntnis wichtig. So habe ich in den historischen Quellen selbst meinen Raum für die Fiktion gefunden: Während ihrer ersten Ehe mit dem deutlich älteren, einflussreichen Großunternehmer Günther Quandt hatte Magda tatsächlich eine Affäre, um die sich einige Legenden ranken. Es kursieren mehrere Namen, nichts ist wirklich sicher. Es soll ein etwas jüngerer Student der Rechtswissenschaften gewesen sein. Diese historische Lücke war für mich die Tür, durch die mein Protagonisten Hans Kesselbach in das Geschehen eintritt.
Welche Bedeutung hat der titelgebende Reichskanzlerplatz für Magda Goebbels und für Ihren Roman?
Am Reichskanzlerplatz bezog die geschiedene Magda Quandt ihre erste eigene, großbürgerliche Wohnung, gezahlt von ihrem geschiedenen Ex-Mann. Hier gab sie Salons und brachte Joseph Goebbels und auch Adolf Hitler mit der gehobenen Gesellschaft zusammen. Es war so gesehen der erste Ort, an dem die spätere Magda Goebbels aktiv politisch am Aufstieg der NSDAP mitwirkte.
NORA BOSSONG IM PODCAST DICHTUNG & WAHRHEIT
Aktuelles zu Nora Bossongs Roman
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Nora Bossong spricht mit Silke Hohmann über ihr literarisches Schaffen und ihren neuen Roman Reichskanzlerplatz.Bossong und Kames auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2024
Die Autorinnen sind für ihre Romane Reichskanzlerplatz und Hasenprosa nominiert.Aktuelles zu Nora Bossongs Roman
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Die Autorinnen sind für ihre Romane Reichskanzlerplatz und Hasenprosa nominiert.»Ihr ebenmäßiges Gesicht, ihre elegante Figur, ihre Augen, changierend zwischen Grau und Blau, aber eigentlich haben wir uns alle in ihrem Blick nur widergespiegelt. Wir sahen uns selbst, so, wie wir uns sehen wollten. Darum verliebten die Männer sich in sie, Quandt ebenso wie Hellmut, Hoovers Neffe wie der Minister, Hitler und das ganze Land, und vielleicht tat auch ich es, vor langer Zeit, für eine Weile.«
ZUM HISTORISCHEN HINTERGRUND DES ROMANS
Magda Quandts Stiefsohn Hellmut verstarb 1927 überraschend im Alter von nur 19 Jahren. Ein Jahr später erfuhr Quandt von einer Affäre seiner Frau mit einem Studenten, die Anlass zur Scheidung der Ehe wurde. Im Streit um Unterhalt und Sorgerecht erwirkte Magda Quandt eine großzügige Abfindung, von der sie eine repräsentative Wohnung am Reichskanzlerplatz in Berlin-Westend inklusive Personal für sich und ihren Sohn Harald finanzierte.
Laut den Aufzeichnungen ihrer Mutter Auguste Behrend hieß Magdas junger Liebhaber während ihrer Ehe mit Günther Quandt nicht wie im Roman Hans Kesselbach, sondern Fritz Gerber. Sie habe den Studenten nach einer Amerikareise auf einem Ball kennengelernt. Über einen früheren Umgang der beiden war Auguste Behrend nichts bekannt. Er soll auch nicht aus Berlin, sondern aus einer wohlhabenden rheinländischen Familie gekommen sein. Mit letzter Gewissheit lässt sich nicht mehr viel sagen.
Im November 1930 lernte Magda Quandt Joseph Goebbels kennen, den sie am 19. Dezember 1931 heiratete – der 10-jährige Harald Quandt wohnte der Zeremonie bei, bezeugt wurde die Eheschließung vom Trauzeugen Adolf Hitler. Ab 1933 inszenierte die NS-Propaganda Magda Goebbels öffentlichkeitswirksam als vorbildliche »deutsche Frau« und die Familie Goebbels als mustergültig, 1938 wurde Magda Goebbels als erster Frau überhaupt das »Ehrenkreuz der deutschen Mutter« verliehen. Am 1. Mai 1945 beging sie mit Joseph Goebbels Suizid, nachdem das Paar zuvor die sechs gemeinsamen Kinder töten ließ.
Magda Goebbels, 1933
© Bundesarchiv, Bild 183-R22014 / CC-BY-SA 3.0
Günther Quandt, 1941
© Bundesarchiv, Bild 183-B03534 / Dorneth / CC-BY-SA 3.0
Joseph Goebbels, 1933
© Bundesarchiv, Bild 146-1968-101-20A / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0
Reichskanzlerplatz, 1907
Trauung von Joseph und Magda Goebbels, 19. Dezember 1931
mit dem 10-jährigen Harald Quandt und Adolf Hitler im Hintergrund
© Bundesarchiv, Bild 183-R32860 / CC-BY-SA 3.0
Joseph und Magda Goebbels, ca. 1940-42
mit mit ihren Kindern Helga, Hildegard, Helmut, Hedwig, Holdine und Heidrun, dahinter Harald Quandt in der Uniform eines Feldwebels der Luftwaffe
© Bundesarchiv, Bild 146-1978-086-03 / CC-BY-SA 3.0
» … auf der Aufnahme stehen Magda und ihr Mann lächelnd auf dem Obersalzberg. Helga und Hilde schmiegen sich an die Eltern, sie tragen große weiße Schleifen im Haar, und Helmut, mit schiefen Beinen in Lederhose, hält die Hand seines Vaters. Hinter ihnen, unter seinem Schnurrbart fast ein Lächeln, thront das Familienoberhaupt, und der Torbogen rundet sich wie eine Aureole um Hitlers Kopf.«
aus Reichskanzlerplatz von Nora Bossong
Familie Goebbels mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg, 1938
© Bundesarchiv, Bild 183-1987-0724-502 / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0
STIMMEN ZUM BUCH
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Lesung aus ReichskanzlerplatzModeration: Caroline Hentschel
Veranstalter: Stadtbibliothek Neustadt an der Orla
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Lesung aus ReichskanzlerplatzModeration: Daniel Gollmann, Jens Peters
Veranstalter: Literaturbüro Westniedersachsen