Die gläsernen Gene
In den Lebenswissenschaften hat sich die Molekularbiologie als Leitwissenschaft etabliert, die genzentrierte Sichtweise ist zum dominanten Paradigma, das Genom zum säkularisierten Äquivalent der Seele geworden. Parallel dazu ist in liberalen Demokratien ein Individualisierungsprozeß zu beobachten: Dem einzelnen stehen alle Optionen offen. Die Kategorien, auf denen das gesellschaftliche Leben beruht – Verwandtschaftsbeziehungen, Eigentumsrechte an natürlichen und artifiziellen Organismen, die...
In den Lebenswissenschaften hat sich die Molekularbiologie als Leitwissenschaft etabliert, die genzentrierte Sichtweise ist zum dominanten Paradigma, das Genom zum säkularisierten Äquivalent der Seele geworden. Parallel dazu ist in liberalen Demokratien ein Individualisierungsprozeß zu beobachten: Dem einzelnen stehen alle Optionen offen. Die Kategorien, auf denen das gesellschaftliche Leben beruht – Verwandtschaftsbeziehungen, Eigentumsrechte an natürlichen und artifiziellen Organismen, die Verschiebung der Grenzen zwischen privat und öffentlich, die Rechte des Individuums gegenüber der Gemeinschaft und den nachfolgenden Generationen – werden durch die Vorstöße der Lebenswissenschaften tagtäglich aufs neue in Frage gestellt. Auf der einen Seite ist beispielsweise der Kampf gegen das Doping im Sport Ausdruck der Illusion eines natürlichen Lebens, auf der anderen Seite sind wir gezwungen, die Fiktion der Natürlichkeit aufzugeben und eine Koexistenz von Menschen und Artefakten zuzulassen. Das Individuum von morgen wird heute erfunden; seine Rechte und seine Stellung in der Gesellschaft müssen neu definiert werden.
»Die Entwicklungen im Sport sind deshalb so interessant, weil sie in paradigmatischer Weise aufdecken, daß sich eine rigide Grenzziehung zwischen künstlich/technisch und natürlich nicht aufrechterhalten läßt.«
Die Dinge sichtbar machen
Was bewirkt die neue Sichtbarkeit des Lebens?
Eine unterbrochene Kontinuität: assistierte Reproduktion
Wie Klone zu Zwillingen wurden
Die Genetisierung der Zeugung
Die Genetisierung der Leistung
Das biochemische (und anderes künstliches) Streben nach Glück
Schneller, höher, stärker: Doping von innen
Der iPod und die Epigenetik. Laufen im Vakuum
Umstrittene Zugehörigkeiten: Wer gehört zu wem?
Umstrittene Abstammungslinien
Isländische Gene: die Spannung zwischen Person und Gemeinschaft
Der Verkauf von Linien: Wie sich mit Brustkrebsgenen Profit machen lässt
Ein Abendessen mit Folgen: how to google your genes
Die umstrittene Zukunft: Alltagserfahrung und Wertediskurs
Von der vorwissenschaftlichen Erfahrung zum wissenschaftlich-technischen Alltag
Die Überflutung des öffentlichen Raumes mit Objekten und Bildern
Die Natur hat keine Geheimnisse mehr
Der Aufstieg der Werte und die Rückkehr der Religionen
Entkollektivierung, Individualisierung und neue kollektive Erfahrungsräume
Die Zukunft gestalten: Humantechniken der Standardisierung
Die Humantechnik des Rechts
Die neue Humantechnik der Governance
Der Aufstieg der Bioethik als Instrument von Governance
Die Synthese der Zukunft
Die Suche nach den Bestandteilen des Lebens: die DNA des Ozeans
Standards und Register
Die Verschmelzung biologischer und moralischer Standards
Die Zukunft als Synthese
Die Erzeugung der latenten Zukunft: ein Superorganismus entsteht
Die Erfolge der Standardisierung
Standardisierung in Zeit und Raum
Die Umkehr der Zeit: Reversibilität und die ichschwache Gesellschaft
Raum für das kreative Individuum und die begleitenden Institutionen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstraße 44
10119 Berlin
info@suhrkamp.de
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Personen für Die gläsernen Gene
Helga Nowotny
Helga Nowotny ist Vize-Präsidentin des Europäischen Forschungsrates und Professor emeritus der ETH Zürich. Sie gilt als die ›grande dame‹ der Wissenschaftsforschung in Europa.
Helga Nowotny ist Vize-Präsidentin des Europäischen Forschungsrates und Professor emeritus der ETH Zürich. Sie gilt als die ›grande dame‹ der...
Giuseppe Testa
Giuseppe Testa leitet das Labor für Stammzellepigenetik am Europäischen Institut für Onkologie (IEO) in Mailand. Er ist Mitglied des Ethikrates der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung.
Giuseppe Testa leitet das Labor für Stammzellepigenetik am Europäischen Institut für Onkologie (IEO) in Mailand. Er ist Mitglied des Ethikrates ...

